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Tiefflug-Trauma: Remscheid

Verkohlte Fassaden, ein halbabgeschnittenes Haus. Baugerüste, auf denen schon wieder die Handwerker arbeiten. Ein Platz, der wie eine Baulücke aussähe, wäre da nicht die alte Hecke, der abgerissene Gartenweg, Hinweise, daß auch hier einmal ein Gebäude stand. Drei Menschen liegen noch mit schweren Verletzungen im Krankenhaus, sechs starben vor einem Monat beim Absturz des US-Tieffliegers auf die Stockder Straße in Remscheid. Die übrigen Anwohner sind noch einmal mit dem Leben davongekommen.

Sie schlafen schlecht seither, schrecken nachts hoch und haben wieder die Bilder vor Augen: Wie die Wrackteile plötzlich durch die Küche flogen und das Nachbarhaus in Flammen aufging. Wie der 30jährige Handwerker, der gerade nach Hause kam, seine Frau und Kinder in den Flammen vermutete und von der Polizei nicht durchgelassen wurde. Oder wie der 60jährige, gerade zu Besuch in der DDR, aus dem Westfernsehen erfuhr, daß sein Haus zerstört worden war und dann stundenlang keine Telefonverbindung mit seiner Familie bekam.

Die Kinder leiden am offensichtlichsten. Sie müsse jeden Mittag mit ihrem fünfjährigen Sohn das Haus verlassen, berichtet eine junge Frau. Er bekomme sonst zur Absturz-Zeit einen Weinkrampf. Die achtjährige Schwester hat eine andere Form der „Bewältigung“: Sie sammelt Zeitungsausschnitte vom Unglück. Als sie zwei Tage nach der Katastrophe wieder in ihre Wohnung durften, hat auch die Mutter angefangen, zu zittern und dann - völlig sinnlos - die Koffer gepackt. Denn das Haus war gar nicht beschädigt.

Die Therapeutin hat der Familie geraten, jetzt nicht in Urlaub zu fahren. Das würde der Verarbeitung des Schocks nur schaden. Etliche Anwohner haben psychologische Hilfe gesucht. Andere sind geflohen. „Meine Frau wollte gar nicht mehr in die Wohnung zurück“, berichtet der Handwerker, der immer noch froh ist, daß alle Familienmitglieder an jenem Tag etwas später nach Hause kamen - als es schon brannte. Obwohl ihre Wohnung nur Wasserschäden hat, trägt er die Möbel hinaus. Hier wollen sie nicht mehr leben. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite, wo die Reparaturarbeiten im vollem Gang sind, hat der alte Herr vom Hoff seinen Koffer gepackt und ist, wie die Angehörigen voller Sorge mitteilen, spurlos verschwunden.

„Mein Mann ist so sehr bedrückt, wie ich ihn gar nicht kenne“, berichtet die 62jährige Margot Neveling. „Wie ein böser Traum, aus dem man erwachen müßte, sagt er.“ Dem Ehepaar ist nicht nur das Wohnhaus halb ausgebrannt, auch das Gebäude ihres kleinen Gewerbebetriebs muß abgerissen werden. Margot Neveling hat die Katastrophe schneller bewältigt. Sie ist schon im zweiten Weltkrieg im Arbeitsdienst häufiger von Tieffliegern beschossen worden. Hilfreich findet sie den alltäglichen Streß, die zahlreichen Handwerker, die sich „die Klinke in die Hand geben“, die Verhandlungen mit den Versicherungen. Wer unterversichert oder gar nicht versichert war, hat Probleme, denn das Amt für Verteidigungslasten ist bisher nur bereit, die Versicherungssummen zu erstatten. „Das lassen wir uns nicht gefallen“, schimpft Margot Neveling, aber es gibt bisher kein gemeinsames Vorgehen der Anwohner, nicht einmal informelle Gespräche - die meisten kennen sich kaum.

So entsteht auch aus der Angst vor den Tieffliegern kein politisches Handeln. „Wenn die so dicht über unseren Köpfen entlang gebraust sind, haben wir schon immer gesagt: wenn da nicht mal einer das Dach mitnimmt“, meint Margot Neveling bitter. Aber die meisten Anwohner der Stockder Straße, die erst im letzten Weltkrieg zerbombt wurde, sind resignativ: „Da kann man sowieso nichts ändern.“

Süster Strubelt

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