Großer Sieg der Kerbelrübe

■ Öko-Gärtner gewannen vor Gericht: Die Rübe darf bleiben

Diese Frage spaltet die Kleingärtner der Stadt: Kerbelrüben oder Koniferen? In einem Rechtsstreit zwischen der Britzer Ökogärtnerin Erika Geiseler und dem Bezirksverband Süd der Kleingärtner hat das Amtsgericht Neukölln gestern sein Urteil gefällt. Ergebnis: Die Kerbelrübe darf bleiben. Sie widerspricht nicht „kleingärtnerischer Nutzung“. Ein großer Sieg „für ungeheuer viele Leute, die ökologisch wirtschaften wollen, aber bisher Angst vor Repressalien hatten“, findet Erika Geiselers Freund Hans-Joachim Flügel. Eine Schlappe dagegen für die „deutsche Sauberkeit und Ordnung“ (Flügel), die nach Ansicht traditioneller Kleingärtner das Bild ihrer Kolonien prägen soll.

Der Neuköllner Bezirksverband hatte Räumungsklage gegen Erika Geiseler erhoben. Ihr Garten sei nicht gepflegt, sondern verwildert; Unkraut mache sich breit. In Wahrheit wachsen in der 600 Quadratmeter großen Öko-Parzelle Kerbelrübe, Süßwurz und eine Staudensonnenblume namens Topinambur. Sie haben gemeinsam, daß sie heutzutage ziemlich unbekannt sind: „Vergessene Gemüsesorten“, erläutert der gelernte Biologe Flügel. Die Kerbelrübe verschwand im 19.Jahrhundert aus den Gärten, die der Karotte verwandte Süßwurz war im Mittelalter beliebter als heute. Flügel: „Für Leute, die das nicht kennen, sieht das aus wie Unkraut.“

Hergebrachte „Schönheitsvorstellungen“ des Neuköllner Gärtner-Vorsitzenden Poppe steckten hinter der Klage, meint Flügel. Der Poppe-Verband versucht zur Zeit, zwei weitere Britzer Gärtner von ihren Parzellen herunterzuklagen. „Kieken Sie sich die doch mal an“, schimpft Poppe, der zu dem Urteil jedoch nichts sagen will, weil er gestern davon noch nichts wußte.

Insgesamt stehen zur Zeit vier Ökogärtner ihren Gärtnerverbänden vor Gericht gegenüber. Gegen alle hatten die Verbände, wie seinerzeit berichtet, Kündigungen ausgesprochen und anschließend auf Räumung geklagt. Auch in Wilmersdorf versucht der Gärtnerverband zur Zeit, zwei naturnahen Gärtnern das ökologische Handwerk zu legen. Die Hecken seien nicht ordentlich gestutzt, die Obstbäume nicht fachgerecht geschnitten. Ironie des Gärtnerschicksals: Der Garten eines der Beklagten war in einem Wettbewerb für naturnahe Gärten als nahezu preiswürdig ausgewählt worden. Veranstalter des Wettbewerbes: Umweltsenator Starnick und die Kleingärtner-nahe Wilhelm-Naulin-Stiftung. Im Gegensatz zu den Bezirksverbänden ist dem Landesverband der Gartenfreunde klar, daß ökologisches Gärtnern den Laubenpiepern nur nutzen kann. Immerhin brauchen sie die Umweltschützer der Stadt als Bündnispartner gegen die im Flächennutzungsplan festgeschriebenen Begehrlichkeiten von Wirtschaft und Bauindustrie. Wahrscheinlich sei das Urteil des Neuköllner Gerichts unanfechtbar, sagte gestern der Anwalt von Erika Geiseler, Klaus Inderfurth. Die Frage entscheide sich am Streitwert; über den sei noch nicht endgültig entschieden. Klagen gegen Ökogärtner seien offensichtlich „ziemlich aussichtslos“, meint Inderfurth.

Der Säuberungswille von Traditionsgärtnern ist allerdings stärker. Ein Wilmersdorfer Naturgärtner, der im Sommer ebenfalls eine Räumungsklage abschmettern konnte, bekam gleich darauf eine neue Kündigung. Jetzt versucht er mit einer Gegenklage, sich weitere Klagen vom Hals zu halten.

hmt