: RADIO SEHEN!
■ „The Radio Show“ gibt dem Leben einen Sinn im UFO-Kino
Bislang dachte ich, Radio kann man hören oder - was üblicher ist - nicht hören, denn die meisten sehen fern. Aber was es da im Radio groß zu sehen gibt, konnte ich mir bei genauerer Überlegung nicht recht vorstellen. Was würde wohl „The Radio Show“ zeigen wollen? Ein Radio, mehrerer Radios, Radianten oder Radieschen?
Im UFO-Cafe-Kino-Variete wird die alberne Frage beantwortet. „The Radio Show“ zeigt, daß früher alles, was im Radio zu hören war, erst live, ohne Hilfe von akustischen Konserven und Bandmaschinen gemacht wurde. Für jeden prasselnden Krimi-Regen mußten im richtigen Moment Erbsen auf dem Backblech gerollt werden, für die unheimlich knarrende Tür wie für den dumpfen Schlag mit der Mordwaffe wurde im Studio ein akustisch vollwertiger Ersatz geräuscht
-und das „here and now“, auf dem Punkt, synchron zu den Texten, die auch von richtigen Schauspielern gesprochen wurden. „The Radio Show“, bestehend aus Kleinst-Hörspielen als Sketchen, lebt auch von der sichtbar vorgeführten Geräusch-Zauberkunst des rhythmisch verläßlichen „Mister Soundman“ Oliver Thein.
Die bühnenerprobten Schauspieler der Truppe reißen das Publikum in den Sog ihrer stimmlichen Radio-Verwandlung mit hinein. Da wird Boris Alijinovic, eben noch die kindlich quietschende Schnatter-Ente einer verschrammten Defa -Kinderfunkaufnahme „Im Zauberwald“, zum hilflosen, da angeklagten, rechtsradikalen Gewalttäter in der öffentlichen Übertragung einer Gerichtsverhandlung, um gleich darauf der berlinernde Prinz in einem rasant galoppierenden Aschenputtel-Hörpsiel zu werden, der, für den gläsernen Schuh den passenden Fuß plus Königin suchend, letztendlich zur eigenen Verblüffung sein schwules Coming-out erfährt. Oder auch Paul Netzer, mit korrektem Seitenscheitel ein perfekter Biedermann, und stimmlich sowohl die Ideal -Besetzung des Nachrichtensprechers: („Das Rauchen in der Nähe der Nord- und Ostsee ist wegen erhöhter Explosionsgefahr verboten.“), als auch von großer Überzeugungskraft im allgegenwärtigen Werbeblock. Mit der routiniert trauerumflorten Stimme des Beerdigungsunternehmers und pathetisch gedehnten Pausen: „Nun ist Frau Erna K. von uns gegangen. Wir wissen zwar nicht wohin, aber: „Ruf doch mal an! Die Post.“
Bliebe nur zu erwähnen, daß als überlanger Vor-spielfilm der „Radio Show“ Monty Pythons „Der Sinn des Lebens“ läuft, mit dessen blutigen Schweinereien und der Gründlichkeit des
-echt britisch - schlechten Geschmacks sich die englischsprachige Nummer der orgiastischen Organverpflanzung des Operationsteams Henry Simon Edmonds (Nachtschwester Ingeborg) und Simon Newby (operierender Arzt) messen kann und will. Bei der dramatischen Verpflanzung einer „diesel -engine“ in „the lung of a frog“ dürften wir „The Radio Show“ jeden Schrei und Stöhner, aber auch alle Schneide- und Bohrgeräusche der ärztlichen Arbeit miterleben, so spannungsgeladen und live wie den Raketenstart zum Mond.
Susanne Raubold
Bis zum 16.Januar um 20.30 Uhr im UFO-Kino.
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