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WER HATTE DIE SELTER?

■ Das Pantomime Ensemble des Deutschen Theaters aus Berlin (Ost) zeigt zwei Stücke im Cafe-Theater Schalotte

„Wer hatte die Selter?“ Mit dieser gesprochenen alltäglichen Frage beginnt das erste Stück sprachlosen Theaters im Stück namens „Cafe Fatal“. Was folgt ist die konzentrierte Form der Bewältigung allnächtlicher Situationskomik, wenn Du im Cafe oder der Kneipe sitzt und Du selbst unbeteiligt dem Treiben zusiehst, das vor Deinen Augen abläuft. Der allnächtliche Traum vom Kellner, der seine Gäste dirigiert, Beziehungen knüpft bzw. verhindert, ein Kellner, der als schwankende Gestalt um die Tische tanzt und den Überblick verliert, Gäste, die durch die Tür hineingeweht kommen, um als Häufchen Elend in sich selbst zusammenzufallen, und Gäste, die lärmend den ganzen Laden am liebsten in Besitz nehmen würden. Es sind immer die gleichen Spiele, die vor dem geistigen Auge ablaufen. Einmal weiß man, daß zwei zueinander passen, weil gleich und gleich gesellt sich gerne, und sofort hat man das Bild im Kopf, daß Gegensätze sich gerne anziehen. Die Klischees, die zur Deutlichmachung menschlicher Beziehungen benutzt werden, hier werden sie auf eine Art verwoben, die keineswegs selbstgestrickt ist, sondern VEB-mäßig produziert dank professioneller Ausbildung in der DDR. Das ist ein so gut abgekartetes Spiel, daß die vier Akteure unsere Augen an die Hand nehmen und keine Sekunde Langeweile entstehen lassen, weil sich eine Aktivität choreographisch aus der anderen folgerichtig ergibt. Es ist ein Reigen, dem man vergnüglich zusehen kann, weil man Gottseidank nicht selbst beteiligt ist und die Damen und Herren gekleidet sind wie annodazumals. Und doch sind wir uns wohl ziemlich gleich geblieben. The same procedure as every night. Und man versteht auch ohne Worte, weil Blicke töten können, die Körpersprache im übrigen Dinge sagen kann, bei denen sich wieder unter der Bettdecke geschämt werden darf.

Das zweite Stück mit dem irrwitzigen und nichtsaussagenden Titel Röteln im Plänterwald zeigt uns vier weitere Personen, die wir immer nur auf der gegenüberliegenden Bank sehen in der U-Bahn wie im Park, und nicht merken, wie wir uns selbst verhalten, wenn sich jemand neben uns setzt und mit dem Hintern an uns ran ruckelt, Schweißfüße ausdünstet, aus dem Mund riecht, mit den Stricknadeln piekt. Selten genug geschieht es ja, daß sich aus einer unangenehmen Situation mit dem anerzogenen oder angezogenen Verhalten, das sich in der Abwehr erschöpft, eine Gelegenheit ergibt, in der man sich öffentlich näher kommt, weil die Verhaltensweisen doch charmant sind, wenn man sich nur auf sie einlassen möchte. Der verklemmte Mensch wird dann zum Komiker, der introvertierte Komponist zum extrovertierten Dirigenten der Leidenschaften. Und auch die Dame, die sich mit Süßigkeiten vollstopft während der Strickarbeit erweist sich als hinreißende Liebhaberin.

Man wird ja doch wohl noch träumen dürfen? Zumindest auf dem Theater, Im Cafe wie auf der Parkbank. Und dabei helfen die Pantomimen des Deutschen Theaters exellent, ohne den Faden zu verlieren, ohne die Spannung abreißen zu lassen, ohne große und kleine Worte. Sie erlauben uns zwei Stücke lang vergnüglich zu stöhnen und zu kichern über die Möglichkeiten, die sich ergeben, wenn wir nur wollten.

Qpferdach

Das Pantomimen Ensemble ist noch bis zum 14.1. Jeweils 20 Uhr im Cafe-Theater Schalotte, Behaimstr.22 zu sehen.

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