: Die Operation Norbert-Leander Hermsdorf
■ Der Verfassungsschutz hatte einen "V-Mann auf Probe" in der taz
Als Staatssekretär Müllenbrock, in Berlin zuständig für den Verfassungsschutz, am Mittwoch vor dem Untersuchungsausschuß stand, der sich mit den Praktiken des Geheimdienstes beschäftigt, sagte er nur die halbe Wahrheit: Überlegungen, jemanden in die taz einzuschleusen, seien wieder fallengelassen worden. Tatsächlich hatte der VS 1982 einen Spitzel in der taz - allerdings nur „auf Probe“. Und daß der Versuch dann scheiterte, ist durchaus nicht der Verdienst Müllenbrocks. Im Gegenteil.
Staatssekretär Wolfgang Müllenbrock, rechte Hand von Innensenator Kewenig, war sich seiner Sache sicher wie immer. „Zu keinem Zeitpunkt“, so versicherte er dem parlamentarischen Untersuchungsausschuß, „habe ich an einer Entscheidung mitgewirkt, einen Mitarbeiter des Verfassungsschutzes in die taz einzuschleusen“. Es habe zwar einmal Überlegungen gegeben, „operative Maßnahmen im Bereich einer Zeitung durchzuführen“ - eine Entscheidung, einen V -Mann zu plazieren sei aber nicht gefallen. Nähere Einzelheiten? Da müsse er leider passen, das sei durch seine Aussagegenehmigung nicht gedeckt.
Und doch, es hat in der taz mindestens einen V-Mann vom Verfassungschutz gegeben. Daß Müllenbrock seine Existenz weiter dementieren kann, liegt an der schier unbegrenzten Fähigkeit des VS und seiner Senatsoberen, den ehrenwerten Abgeordneten immer wieder ein X für ein U vorzumachen. Daß kein „Mitarbeiter des VS“ in die taz geschickt wurde, läßt sich leicht behaupten, wenn V-Leute im internen Sprachgebrauch gar nicht als „Mitarbeiter“ gelten. Spitzel ihrerseits brauchen natürlich keineswegs immer „V-Leute“ zu sein. Und schließlich gibt es im Bedarfsfall ja auch noch V -Leute auf Probe. Die gelten zum Zwecke der Aussage vor den Abgeordneten auch nicht als „V-Leute“. So einfach ist das. Und so notwendig. Denn wenn der V-Mann in der taz nicht bloß ein solcher „auf Probe“ gewesen wäre, könnte ja der Herr Staatssekretär bei der bevorstehenden Vereidigung durch den Untersuchungsausschuß erhebliche Probleme bekommen.
Der V-Mann auf Probe
Der Mann, der dieser Art Probezeit bei der taz absolvierte, heißt Norbert-Leander Hermsdorf, ist heute 32 Jahre alt und zur Zeit abgetaucht. Sein Auftrag damals, 1982: Beobachtung und politische Bewertung seiner Kollegen sowie Beschaffung sogenannter Bekennerschreiben, die möglicherweise bei der taz eingehen. Zuletzt in Berlin gesehen wurde Norbert -Leander Hermsdorf am 27. Dezember letzten Jahres. An diesem Tag verabschiedete er sich von seinen Mitbewohnern, um mit Freundin und einer gerade erstandenen Yamaha in den Urlaub Richtung Norditalien abzurauschen. Um einen Punkt gleich vorwegzuschicken: der taz ist es trotz intensiver Bemühungen bis heute nicht gelungen, ihren Ex-Mitarbeiter zu sprechen. Wir haben Anhaltspunkte dafür, daß das planmäßig vereitelt wurde. Die Frage ist, von wem.
Wer ist Norbert Hermsdorf? Ein fleißiger Mensch, behaupten Leute, die in seiner taz-Zeit direkt mit ihm zu tun hatten. „Er kam als erster und ging als letzter“. Zum ersten Mal kam er Ende 1981 in die taz - um sich vorzustellen. Seine damalige Freundin hatte in der taz um Hilfe für ihren Freund Norbert gebeten, der ein großes Problem hatte: Norbert saß im Knast und wollte gerne raus. Mit einem Arbeitsplatz hätte er die Chance, Freigang zu bekommen und könnte wenigstens tagsüber die Knastmauern hinter sich lassen. So begann Norbert im Januar 1982 seine Karriere im „Projekt tageszeitung“ - genauer gesagt, im Verwaltungsbereich unseres Verlages. Was in der taz niemand ahnte: Norbert war von Anfang an Diener zweier Herren. Regelmäßig erstattete er einem seit Jahren im Berliner Landesamt tätigen V-Mann -Führer Bericht. Sein Name: Lutz T.
Möglicherweise hat der VS den Kontakt zu Norbert zu dem Zeitpunkt hergestellt, als dieser der Anstaltsleitung freudig von dem Job-Angebot der taz berichtete. Möglicherweise aber auch früher. Denn Norbert war beileibe kein unbeschriebenes Blatt, mit seiner Knastgeschichte bot er sich dem VS geradezu an. Als er 1979 wegen einer Messerstecherei im Knast landete, hatte er bereits 9 Verurteilungen wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz hinter sich - einige davon auf Bewährung. Im Laufe des Jahres 1980 begann er, sich in Berlin-Tegel zu engagieren. Er wurde Mitglied der Insassenvertretung und gründete zusammen mit anderen Gefangenen einen Verein, um sich gegen die Anstaltsleitung besser zur Wehr zu setzen. Ein Ergebnis der Vereinsarbeit war ein sogenannter „Linkswegweiser“ über die Rechte der Strafgefangenen, ein Anwalt nennt sie „eine hervorragende Broschüre“.
In dieser Phase lernte Norbert die Frau kennen, die ihm später den Weg in die taz ebnete. Dagmar B., ursprünglich im Auftrag des Max-Planck-Instituts in Tegel, um an einer Studie über den Strafvollzug mitzuarbeiten, wurde Norberts Vollzugshelferin und spätere Ehefrau. Die Heirat mag seine Verlegung in den Freigang beschleunigt haben, und dennoch: bei jemandem mit einer solchen Drogenvergangenheit ging das nicht ohne Einverständnis des Justizsenats - und damit der Staatsanwaltschaft. Die Aussicht, einen V-Mann in der taz plazieren zu können, war offenbar wichtiger als alle Bedenken.
Der Griff in die taz-Kasse
Offenbar um sich „Stoff“ besorgen zu können, griff Norbert nach fünf Monaten bei der taz in die Kasse. In der Nacht vom 13. auf den 14. Juli 1982 knackte Norbert die Bürokasse der taz und verschwand mit gut 2000 Mark. Ein komplettes Schlüsselbund für alle taz-Räume nahm er auch gleich mit. Am nächsten Abend vergriff sich Norbert an seiner Frau: „Freiheitsberaubung in Tateinheit mit Nötigung, Körperverletzung und Beleidigung“ nannte es später die Anklage - mit anderen Worten: Vergewaltigung in der Ehe. Eine Woche später wurde er - wieder im Besitz von Drogen in einer Laubenkolonie verhaftet.
Vor dem Hintergrund dieses „Fehlverhaltens“, wie es jetzt der Verfassungsschutz vornehm formuliert, wandte sich das „Amt“ an seinen Spezi bei der Staatsanwaltschaft, den heutigen Staatssekretär Wolfgang Müllenbrock, um mit ihm eine „operative Maßnahme im Bereich einer Zeitung“ (Müllenbrock) zu diskutieren. Offenbar hofften die Verfassungsschützer, ihren Probanden mit Hilfe des Staatsanwalts herauspauken zu können, um ihn erneut in der taz zu plazieren. Wovon VS und Müllenbrock nichts wissen konnten (die taz hatte keine Anzeige erstattet), war Norberts tiefer Griff in die Kasse. Erst als der V-Mann auf Probe beichtete, daß er sich bei seinen taz-Kollegen nicht mehr sehen lassen konnte, war die „Entscheidung, einen V -Mann in der taz zu plazieren“ (an der Müllenbrock angeblich nie beteiligt war) obsolet geworden.
Senatsbesuch im Knast
Doch so schnell gibt sich ein Mann wie Müllenbrock nicht geschlagen. Mitgefangene von Hermsdorf in der Untersuchungshaftanstalt Moabit wissen zu berichten, daß der in der fraglichen Zeit - Herbst 1982 - häufig Besuch aus der Senatsverwaltung erhielt. Zur Rede gestellt, räumte dieser ein, daß es Abgesandte vom Verfassungsschutz waren. Er gab auch zu, den Herren das Schlüsselbund der taz überreicht zu haben. Die Schlüssel wurden später, nachdem die taz längst ihre Schlösser ausgetauscht hatte, von der Kripo zurückgegeben.
Der weitere Werdegang des Norbert Hermsdorf liefert einige Indizien dafür, daß der VS im Verein mit Staatsanwalt Müllenbrock seinen V-Mann auf Probe immer noch nicht fallen ließen. Auch als seine Verurteilung wegen Vergewaltigung und Drogen rechtskräftig geworden war, blieb Hermsdorf in der U -Haftanstalt Moabit - gegen jede Regel. Kenner der Berliner Knastszene meinen, offenbar sollte er nicht dem Risiko ausgesetzt werden, mit seinen früheren Mithäftlingen in Tegel aus der Zeit der Knastopposition erneut konfrontiert zu werden.
Ungewöhnlich auch: Bereits nach zwei Jahren kam er in den gelockerten Vollzug und durfte im Rahmen eines Fernstudiums zu einem zweiwöchigen Seminar außerhalb des Knastes nach Westdeutschland. Anfang 86 war er bereits wieder Freigänger
-im Normalfall ein Ding der Unmöglichkeit für einen Gefangenen, der schon einmal als Freigänger straffällig geworden ist. Ende 1986 entlassen, arbeitete sich Hermsdorf nach und nach wieder an die linke Szene West-Berlins heran. Er gehörte zu den Besetzern des Kubat-Dreiecks, ein Gebiet direkt unterhalb der Mauer, das unter anderem wegen eines geplanten Schnellstraßenbaus heiß umkämpft war. Fast schon selbstverständlich, daß Norbert sich auch in den Anti-IWF -Gruppen im Vorfeld der Weltbanktagung vom letzten September umtat - ein Bereich, an dem der Verfassungsschutz heftig interessiert war.
Nun endlich mit dem richtigen Entree ausgestattet, hätte Hermsdorf noch auf unabsehbare Zeit sein V-Mann-Unwesen treiben können, wenn nicht Ende November letzten Jahres die Bespitzelung „der taz als Ganzes“ ruchbar geworden wäre. Als die Alternative Liste zwei Tage vor Silvester ihr zugespielte Hinweise über V-Mann Einsätze in der taz öffentlich machte, läuteten im Landesamt für Verfassungsschutz die Alarmglocken. Ein Bericht der taz am 2. Januar, der bereits indirekte Hinweise auf Hermsdorf enthielt, führte dazu, daß ein gewisser „Detlev“ sich bei der Familie von Norberts Freundin meldete und sich dringlich nach dem Urlaubsort des Pärchens erkundigte. Auch an den folgenden Tagen klingelte „Detlev“ immer wieder bei der Familie an, bis die ihm endlich am Freitag mit einer Adresse am Bodensee behilflich sein konnte. „Detlev“ zögerte nicht, sondern schwang sich gleich ins Auto, um seinen Mann noch vor Berlin abzufangen.
Noberts mittlerweile aufs höchste beunruhigte Mitbewohner warteten jedenfalls am letzten Samstag vergeblich auf seine Ankunft. Stattdessen konnten sie drei Tage später einen besonders gelungenen Coup der Leute vom „Amt“ bestaunen. Unbemerkt von einer fest schlafenden Bewohnerin, hatten Unbekannte am vormittag in einer Blitzaktion die beiden Zimmer Hermsdorfs ausgeräumt. Vor den leeren Regalen fand sich nur noch ein Zettel, auf dem handschriftlich notiert war, welche Sachen mitgehen sollen. Die „Operation Hermsdorf“ war beendet.
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