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Filzballspiele unterm Regenschirm

■ Heute beginnen die „Australian Open“ zu Melbourne, das erste Grand Slam-Tennisturnier des Jahres 1989

Berlin (taz) - Zum ersten Mal, seit er vor zwölf Monaten zum Trainer von Boris Becker erkoren wurde, machte Bob Brett den Mund auf. Und sofort wurde klar, woher Becker den seit einiger Zeit geballt auftretenden Hang zum Tiefsinn und zur epochalen Betrachtungsweise der Dinge hat. „Wenn man ein Bild anschaut, sieht man viele Dinge“, philosophierte der australische Coach frisch von der Leber weg und holte flugs zu einer klassisch-fundamentalen Charakterisierung seines Schützlings aus: „Ich sehe große Qualitäten in ihm, doch die möchte ich für mich behalten. Es dauert eine lange Zeit, bis man einen Klassiker versteht. Man muß ihn sehr oft lesen. Manchmal findet man ein Buch beim ersten Mal wenig erfreulich, man muß es immer und immer wieder lesen. Es braucht viele Jahre, um einen anderen ganz zu kennen.“

Glaube versetzt Bälle

Boris Becker erwies sich als gelehriger Schüler und ging erst einmal daran, die wichtigste Person in seinem Leben kennenzulernen: sich selbst. „Wer ich wirklich bin“, habe er in den letzten Jahren herauszufinden versucht, und dabei schöne Erfolge erzielt. „Ich habe meinen Charakter gesucht. Das hat mich stärker gemacht. Nun habe ich die Linie für die nächsten Jahre gefunden.“ Auf ebendieser Linie will er jetzt ganz nach oben. „Ich kann die Nummer Eins werden“, ist sich Becker sicher, aber: „Es wird kein Wochenendtrip.“ Brett habe ihm jedoch die richtige Einstellung vermittelt. „Bei den engen Spielen gewinnt immer derjenige, der an sich glaubt“, glaubt Becker, außerdem habe ihm sein Trainer bewußt werden lassen, „wie beschissen man sich in der Niederlage fühlt“.

Dieses Gefühl will Boris Becker bei den Australian Open, die heute in Melbourne beginnen, möglichst vermeiden. Es handelt sich um ein Turnier, an das der an dritter Stelle gesetzte Monegasse nicht gerade die besten Erinnerungen hat. Vor zwei Jahren tobte er hier bei seiner Niederlage gegen Wally Masur wie ein Rumpelstilzchen über den Platz und trennte sich anschließend dramatisch von Trainer und Vaterfigur Günter Bosch, im vergangenen Jahr konnte er wegen einer Verletzung gar nicht erst antreten. Diesmal jedoch fühlt er sich nach seinen Triumphen im Masters-Turnier und im Davis-Cup fit zum Bäumeausreißen, und selbst das Losglück scheint auf seiner Seite zu sein. In der ersten Runde steht er dem 157. der Weltrangliste, dem Neuseeländer Steve Guy, gegenüber, und auf seine Hauptrivalen Lendl, Edberg, McEnroe und Cash kann er erst im Finale treffen. Läuft alles nach Plan, bekommt er es auf seinem Weg mit den weniger stark eingeschätzten Herren Wilander, Leconte, Mecir und Noah zu tun. Andre Agassi und Jimmy Connors haben den Weg nach Australien gar nicht erst angetreten.

Völlig anders ist die Situation für Steffi Graf. Im letzten Jahr ging in Melbourne ihr Grand-Slam-Stern auf, diesmal kann es eigentlich nur noch abwärts gehen. Martina Navratilova hat wie üblich angekündigt, daß sie bereit sei, wieder die Nummer Eins zu werden, und die 18jährige Argentinierin Gabriela Sabatini brennt nach ihrem Masters -Sieg im November darauf, endlich auch mal bei einem Grand -Slam-Turnier gegen ihre um ein Jahr ältere germanische Konkurrentin zu gewinnen. Steffi Graf, die in der ersten Runde gegen die nicht in der Weltrangliste geführte 16jährige Australierin Kerrie Anne Guse spielt, würde, wenn alles wie erwartet läuft, schon im Halbfinale auf ihre argentinische Widersacherin treffen. Das zweite Halbfinale könnte, da Chris Evert nicht antritt, ein Duell Navratilova

-Shriver bringen.

Insgesamt sind 24 Spieler und Spielerinnnen aus der Bundesrepublik am Start, einige hat es in der Auslosung bös erwischt. Andrea Betzner aus Stuttgart bekommt es gleich mit der siegeshungrigen Martina Navratilova zu tun, der einstige Davis-Cup-Triumphator Michael Westphal mit John McEnroe und sein Nachfolger Carl-Uwe Steeb, beim Davis-Cup in Göteborg gefeierter Bezwinger von Mats Wilander, wird, wenn er mit Augustin Moreno (Argentinien) die erste Runde genommen hat, von keinem Geringeren als Ivan Lendl erwartet.

Insgesamt fünf Millionen Mark sind bei dem Turnier, das bis zum 29.Januar dauert und heute von den VorjahressiegerInnen Mats Wilander und Steffi Graf eröffnet wird, zu gewinnen. Schauplatz des Ereignisses ist zum zweiten Mal das neue „Tennis-Mekka“ der Australier, eine für 100 Millionen Dollar errichtete Anlage im Flinders-Park mit ihrem Prunkstück, dem Center Court. 15.000 Zuschauer haben hier Platz, doch der Clou der Betonschüssel ist weniger ihre Kapazität als vielmehr das 700 Tonnen schwere Dach, das bei Bedarf innerhalb von 20 Minuten über den Platz geschoben werden kann.

Regen-Kapriolen

Schon bei ihrer Premiere sorgte die Konstruktion im vergangenen Jahr für Heiterkeit bei den Zuschauern und Unmut bei den SpielerInnen. Kaum fielen die ersten Tropfen, kamen besorgt zum Firmament äugende Schiedsrichter zum Vorschein, um wenig später zielsicher die falsche Entscheidung zu treffen. Wurde das Dach geschlossen, kam alsbald die Sonne zum Vorschein, blieb es offen, regnete es ungeniert weiter. Die Dachbewegungspausen konnten gelegentlich ohne weiteres mit Regenunterbrechungen a la Wimbledon mithalten. Bleibt zu hoffen, daß es wenigstens in diesem Jahr einige Male deutlich, heftig und konsequent regnet, damit sich der ganze Zauber gelohnt hat und das Millionen-Konstrukt zum Zwecke seiner Amortisation nicht wieder zum Sonnenschirm für die Ehrentribüne zweckentfremdet werden muß.

Matti

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