: Lehrstunde Geiselnahme
■ SEK-Chef ohne jede Vorerfahrung in die Einsatzleitung beordert / „Würde mich vor Ort wohler fühlen“
Ein bißchen wie Schimanski wirkt er, der 43jährige Herbert Jager. Das bringt wohl der Beruf so mit sich, denn Jager ist Leiter des Sonder-Einsatz-Kommandos der Bemer Polizei. Kein Wunder, daß er die Ermunterung des Grünen Bürgerschaftsabgeordneten Martin Thomas („Sie brauchen keine Angst zu haben“) nicht nötig hat. „Hab‘ ich auch nicht“, kommt prompt die Antwort.
Jager hatte gestern dem Untersuchungsausschuß Fragen zu beantworten, was er denn vom Chaos in der Einsatzzentrale der Bremer Polizei mitbekommen habe. Im Gegensaz zu zahlreichen anderen Beamten des Führungsstabes hatte Jager von Chaos, Konzeptlosigkeit und Pannen nur wenig mitbekommen. Denn Jager hatte zu tun. „Ich habe mir ein Telefon in der hinteren Ecke geschnappt und von dort telefoniert.“ Stundenlang. Und wenn nicht zu telefonieren war, befand sich der SEK-Mann am Funktisch, um seine „Kräfte zu koordinieren“.
Mindestens zweimal muß aber auch der SEK-Mann technische und organisatorische Schwierigkeiten mitbekommmen haben. So zum Beispiel, als um 18.15 Uhr der Anruf einer Geisel im Lagezentrum auflief. Da mußte Jager den Funktisch nebenan verlassen und in den vierten Stock des Polizeihauses eilen, damit der Geiselnehmer nicht am Telefon die Ein
satzbefehle des SEK-Mannes mithören konnte. Die Folge: Nun hatte Jager keine Ahnung mehr, was denn zwischen Geiselnehmern und Polizei verabredet wurde. (Wenig später führte die offensichtliche Anwesenheit von SEK und Präzisionsschützen zur Kaperung des Busses.)
Und noch einmal merkte auch Jager, daß es mit der Einsatzorganisation nicht zum besten stand: Das war, als der Funkverkehr kurz nach der Abfahrt des Busses zusammenbrach. (Nach Aussagen eines anderen Beamten war in der Funkzentrale die unterrschiedliche Bedeutung von Ober-und Unterband nicht begriffen worden.)
Kritik an der Arbeit seiner „Kräfte“ hatte Jager ansonsten nicht. Nur soviel: „Plattmachen“ und „Abfischen“, das findet auch der SEK-Mann, haben im Funk sprechverkehr nichts zu suchen. Für Jager aber kein Hinweis auf die Mentalität der SEK'ler, sondern eine Folge des besonderen Einsatzstresses.
Wenn in Bremen wieder einmal Geiseln genommen werden, dann würde sich Jager „vor Ort wohler fühlen“. Verständlich: War doch die Geiselnahme im August der erste Fall, bei dem Jager in die Einsatzzentrale mußte. Und auch an entsprechenden Übungen hatte der SEK-Mann bis dato noch nicht teilgenommen.
hbk
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