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Eisturbinen aus Erfurt

DDR-Frauen dominierten bei der Eisschnellauf-Europameisterschaft im Vierkampf  ■  Aus Berlin Matti Lieske

Es sieht recht anmutig aus, wenn die Eisschnelläuferinnen in ihren stromlinienförmigen Strampelanzügen auf der etwa 25 Zentimeter dicken, sorgfältig geglätteten Eisfläche dahergeschliddert kommen, den einen Arm auf dem Rücken oder in einer eigens angebrachten Schlaufe abgelegt, den anderen sanft im Rhythmus der ausgreifenden Schritte hin- und herschwingend. Welche Dynamik in den ruhigen, gemessenen Bewegungen steckt, wird erst deutlich, wenn die Läuferinnen an dem Betrachter vorbeizischen. Immerhin benötigen sie nur knapp 40 Sekunden, um eine Strecke von 500 Metern zurückzulegen.

Dennoch ist das Eisschnellaufen kein sonderlich spektakulärer Sport. Das Einerlei der Runden, die von den einzelnen Paaren absolviert werden, die häufigen, quälenden Pausen zur Eisbereitung, die hinterlistige Kälte, die langsam aber stetig in die Glieder kriecht, all das sorgt dafür, daß sich hierzulande selbst bei einer Europameisterschaft nur wenige Zuschauer im Eisstadion verlieren, mag auch wie am Wochenende in Berlin-Wilmersdorf die gesamte europäische Elite inclusive der dreifachen Olympiasiegerin aus den Niederlanden, Yvonne van Gennip, am Start sein.

Spärlich auch die Zahl der Werbetafeln an der Bande, aber dafür entsprechen sie im Gegensatz zu anderen Sportarten wenigstens hin und wieder dem sportlichen Genre. Die Propaganda für Gouda-Käse etwa, den Gaumenkitzel aus den Niederlanden, jener Ecke Europas, wo die Kinder zuweilen noch mit Kufen an den Füßen geboren werden, oder auch die Werbung für das traditionsreiche „Moritz Eiskonfekt“. Sogar ein einsames Transparent hatte sich ins weite Areal verirrt. Darauf grüßten Bürger aus „Greifswald (DDR)“ ausgerechnet Yvonne van Gennip, die härteste Konkurrentin der realsozialistischen Eisflitzerinnen von „Turbine Erfurt“.

Es nützte jedoch nichts. Schon vor dieser Europameisterschaft im Vierkampf, bestehend aus 500, 1.500, 3.000 und 5.000 Metern, hatte die mehrfache Goldmedaillengewinnerin und niederländische „Sportlerin des Jahres“ kundgetan, daß sie „nicht die Form von Calgary“ habe. Die 24jährige hatte den DDR-Athletinnen um die überragende Gunda Kleemann ebenso wenig etwas entgegenzusetzen wie ihre Landsfrau Marieke Stam oder die sowjetischen Teilnehmerinnen, von denen drei weit jenseits des Ural zu Hause sind. Ganz zu schweigen von der 21jährigen Deutschen Meisterin Petra Becker, die grippegeschwächt in die Rennen gegangen war, aber immerhin den Sprung ins Finale am Sonntag schaffte. Hier allerdings nützte es ihr auch nichts, daß sich Trainer Peter Mueller auf der Gegengeraden stets wie ein hungriger Wolf auf sie stürzte, neben ihr herkufte und sie mit Zurufen wie „Kopf hoch“, „Tief bleiben“ und „Weiter steigern“ zu ermuntern suchte. Sie wurde schließlich 16.

Van Gennip brillierte zwar mit ausgefeilter Technik und elegantem Stil, doch das half ihr nichts gegen die geballte Kraft der Turbinen aus Erfurt, der Eislaufhochburg der DDR, wo dieser rasante Sport oft Pflichtschulfach ist. Nach dem Abschied von Karin Kania und Andrea Ehrig hat die DDR wieder ein äußerst starkes Team und stellte mit Gunda Kleemann nicht nur die neue Europameisterin, sondern belegte durch Constanze Moser und Jacqueline Börner auch den zweiten und dritten Platz.

Yvonne van Gennip wurde Fünfte und will bei der Weltmeisterschaft Anfang Februar in Lake Placid noch einmal auftrumpfen, bevor sie ihre Karriere beendet. Ihr liege ein interessantes berufliches Angebot vor, erzählte sie in Berlin, das ihr aber nicht die Möglichkeit zu den 28 Stunden Training pro Woche lassen würde, die sie normalerweise absolviert.

Dafür hätte sie dann sicher mehr Zeit für ihr extravagantes Hobby. Alle Teilnehmerinnen in Berlin füllten nämlich einen Fragebogen zu ihrer Person aus, van Gennip als einzige ausländische Teilnehmerin auf deutsch. Ihre Höflichkeit wurde der Haarlemerin ein wenig zum Verhängnis, förderte sie doch als Freizeitbeschäftigung eine ausgeprochen ungewöhnliche Vorliebe zutage: „Rädern“.

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