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Somalis berichten von Giftgaseinsatz

Flüchtlinge in der BRD erläutern Einsatz chemischer Waffen in ihrer Heimat / Libyen lieferte Giftgas aus sowjetischer Produktion an Regierungstruppen / Im vergangenen Dezember erstmals Gas gegen SNM-Guerilla eingesetzt / Völkermord an den Issaq?  ■  Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt (taz) - Nach übereinstimmenden Aussagen somalischer Asylbewerber aus dem Flüchtlingslager Schwalbach in Hessen sollen die Truppen des somalischen Präsidenten Mohamed Siad Barre im Dezember '88 Giftgas gegen die Rebellen der „Somalia National Movement“ (SNM) eingesetzt haben. Ende Mai sind die Kämpfe zwischen dem nepotischen Barre-Regime, das sich seit dem Militärputsch von 1969 an der Macht hält und der SNM, die für eine föderative Demokratie und freie Wahlen nach westlichem Muster eintritt, wieder aufgeflammt.

Gegenüber der taz erklärten am Wochenende drei in die Bundesrepublik geflohene Mitglieder der SNM, daß das Gas von den Regierungstruppen am 5.Dezember '88 beim Kampf um die Stadt Borama im Norden des ostafrikanischen Landes eingesetzt worden sei. Das Gas stamme aus sowjetischer Produktion und sei bereits im Oktober - von einer Maschine der „Libyan Airlines“ nach der somalischen Hauptstadt Mogadischu geliefert worden. Die Flüchtlinge - unter ihnen ein Ex-Soldat der Barre-Truppen - waren Augenzeugen, als am 7.Oktober '88 das libysche Flugzeug am Nordost-Ende der Rollbahn des Flughafens entladen wurde. Neben Kisten mit dem Aufdruck „Ersatzteile“ hätten Kanister mit den Nervengasen „Sarin“ und „Soman“ Soldaten ausgeladen. Noch während der Entladeaktion sollen andere Soldaten, so die Somalis, mit Maschinengewehren die dort auf ein Transportauto wartenden Zivilisten mit entsicherten Maschinenpistolen von der Rollbahn gedrängt haben. Daß auch schon vor dem 7.Oktober Giftgase von libyschen Maschinen nach Mogadischu verbracht worden seien, hätten desertierte Barre-Soldaten wiederholt erklärt. Auch würden die Regierungstruppen seit dem Sommer im Umgang mit Giftgas geschult. Angehörige der Regierungstruppen, die intern gegen den Einsatz von dieser chemischen Waffe und Sprengbomben gegen die SNM-Rebellen sowie die Zivilbevölkerung protestiert hätten, seien „festgesetzt“ worden. Unter ihnen sollen sich diverse MIG -Piloten befinden, die sich geweigert hatten, Bombeneinsätze gegen die Städte im Norden des eigenen Landeszu fliegen. Einer der somalischen Piloten habe die Bomben über unbewohntem Gebiet abgeworfen und sei anschließend „in ein Nachbarland“ geflogen. Nach einer Notlandung im Meer hat der Pilot in Dschibuti politisches Asyl beantragt. Aufgrund der Befehlsverweigerungen innerhalb der somalischen Luftwaffe habe Staatschef Barre inzwischen „rhodesische Piloten mit südafrikanischen Pässen“ angeheuert. Die etwa dreißig Söldner seien in einer Kaserne in Mogadischu bzw. bei „Leuten aus der Präsidentenclique“ untergebracht.

Auch die in London erscheinende Zeitschrift 'New Africa‘ hatte in ihrer Januar-Nummer von Giftgaslieferungen Libyens an Somalia berichtet. Die somalischen Flüchtlinge sprachen gegenüber der taz auch von „in Diplomatenkreisen bekannt gewordenen Verstimmungen“ zwischen dem bisherigen Hauptwaffenlieferant Somalias, den Vereinigten Staaten (USA), und dem Barre-Regime wegen der libyschen Giftgaslieferungen. Washington habe darauf seine „Unterstützungslieferungen“ an Barre reduziert, so daß Libyen jetzt auch verstärkt als Anbieter konventio neller Waffen in Erscheinung trete.

In den Worten der Flüchtlinge findet in Somalia zur Zeit ein „Völkermord“ statt. Die somalische Armee, deren Oberbefehlshaber Staatschef Barre ist, führe einen Vernichtungsfeldzug gegen die Stämme des Nordens, die sich seit Jahren aktiv gegen die gezielte Benachteilung dieser Region durch die Zentralgewalt in Mogadischu wehrten. Barre habe es insbesondere auf die „Vernichtung“ des Volkes der Issaq abgesehen. So seien die „Issaq-Städte“ Hargeisa, Berbera und Burao ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung in diesen Gebieten, „gnadenlos bombadiert“ worden. Auch humanitäre Organisationen in Großbritannien berichteten von „Hunderttausenden von Toten“ seit Beginn der Offensive der Regierungstruppen gegen die SNM-Rebellen des Nordens. Unabhängige Journalisten haben seit sechs Monaten keinen Zugang mehr zum Land. Die 350.000-Einwohner-Stadt Hargeisa soll zu 70 Prozent zerstört worden sein. Wer den Bombardements entkommen konnte, hat Zuflucht im benachbarten Äthiopien gesucht. Für die 400.000- 500.000 Flüchtlinge sind die Lager dort allerdings nicht ausgerichtet und die Versorgungslage ist kritisch. Im Norden Somalias selbst sollen 600.000 Menschen durch die gezielten Übergriffe auf die Zivilbevölkerung entwurzelt worden sein. Auch die Zahl der somalischen AsylbewerberInnen in der Bundesrepublik stieg in den letzten Monaten sprunghaft an. Während es noch im vergangenen Mai in Hessen keinen somalischen Asylbewerber gab, sind alleine in diesem Bundesland - nach der Sommer -Offensive der Barre-Truppen - über 50 AsylbewerberInnen registriert worden. Die meisten Flüchtlinge, die sich aus Somalia „herauskaufen“ konnten, indem sie sehr hohe Ausreisegebühr bezahlten, würden allerdings nach England, Holland oder Canada emigrieren.

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