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Herr Professor lassen gnädigst bitten

■ Vom komplizierten Unterfangen, einen Platz in einem Seminar zu finden, das erstens stattfindet, für das man zweitens die Auswahlprüfung besteht und wo drittens auch noch Wissenswertes bei herauskommt

Im Protest der streikenden StudentInnen hat sich nicht zuletzt der Unmut über die Lehrmisere an den Hochschulen entladen. In der Öffentlichkeit kursieren seither eine ganze Reihe von Forderungen, von „kritischer Interdisziplinarität“ über die „Wiederherstellung der universitären Autonomie“ bis hin zu Geld und Mitbestimmung, um nur einiges zu nennen. Die taz wollte wissen, wie es an den Fachbereichen aussieht. In lockerer Folge wird sie in den nächsten Wochen - subjektiv und ohne Anspruch auf Vollständigkeit - aus verschiedenen Studiengängen veröffentlichen. Im folgenden schildert eine Erziehungswissenschaftlerin ihren Studienfrust.

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In der ersten Vorlesungswoche renne ich vom Seminarraum JK 26/133 zu J 32/10, von KL 23/222 zu K 30/12. An jeder Tür hängt ein Schild, daß das Seminar verschoben wird. Ich hatte mir mühevoll einen Stundenplan gebastelt. Wenn dich zwei Seminare interessieren, kannst du sicher sein, daß sie zur gleichen Zeit stattfinden. Bei drei wahrscheinlich auch. Wenn nicht, so wird eines sicher so verschoben, daß es mit den anderen beiden zusammenfällt. Bei vieren hast du Chance, zwei besuchen zu können.

In letzter Verzweiflung greife ich auf ein Oberseminar zurück. Das Thema „Über Wünschen und Begehren“ klingt äußerst interessant, und ich denke mir: Du bist im achten Semester, was soll dir schon groß passieren?

Ich stehe aufgrund der oben erwähnten Spaziergänge eine Woche verspätet zur angekündigten Zeit (20 Uhr) vor der Tür des Institutes. Mit mir zwei andere Studentinnen. Wir warten und frieren, klingeln, fragen, frieren, warten.

Um 20.30 Uhr kommt eine Sekretärin zur Tür. Sie sei ganz zufällig noch da, da hätten wir wirklich Glück. Das Oberseminar fände am Tag vorher statt, es bestehe eine Anmeldepflicht, es laufe schon in der dritten Woche und sei voll.

Wo man sich anmelden könne.

In der Sprechstunde.

Wann der Prof. Sprechstunde habe?

Auf Anmeldung hin.

Wo man sich anmelde.

Bei ihr.

Zwei Tage später rufe ich bei ihr an. Der Prof. steht wohl zufällig im Zimmer, denn ich werde gnädigerweise durchgestellt, nachdem ich die Sekretärin habe fragen hören: „Herr Professor, da ist schon wieder jemand für ihr Oberseminar. Was machen wir denn da?“ Der Herr Professor nimmt sich sogar Zeit „für mich“: Er erklärt mir ausführlichst, in welchem Zusammenhang das Seminar steht, daß die Teilnehmer schon seit mehreren Semestern zusammenarbeiten, daß schon gemeinsam ein Buch veröffentlicht worden ist. Und daß die Teilnehmer alle Doktoranden und wissenschaftliche Mitarbeiter sind...

Eigentlich wäre das Seminar auch nur auf persönliche Einladung hin, und ich hätte ja sicher inzwischen gemerkt, daß es ganz anders sei, als ich es mir vorgestellt hätte. Die Terminverlegung sei Absicht gewesen.

Ich darf trotzdem zur nächsten Sitzung kommen (von der mir netterweise Wochentag und Uhrzeit mitgeteilt wird), um nachzuprüfen, ob das Seminar wirklich etwas für mich ist.

Ich bin da. Die zwei anderen Studentinnen, die damals frierend mit mir vor der Tür standen, nicht. Dafür drei andere Studenten, die ebenfalls die Telefonprüfung bestanden haben. Mir wird gleich eine Arbeit vorgeschlagen. Ich bin bereit, ein Thema vorzubereiten, wähle aber ein anderes. Es wird geredet.

In der nächsten Sitzung sind die drei anderen Studenten nicht mehr da. Ich weiß von ihnen, daß sie nicht mehr kommen werden. Die Doktoranden und wissenschaftlichen Mitarbeiter freuen sich: „Erfolgreich abgeschreckt.“

In der nächsten Sitzung wird ein Text von Kamper besprochen, in dem es um den „Bruch“ geht:

„Das Regelwerk der Rede, sein Halt im Anonymen einer allgemeinverbindlichen Vernunft sollte deshalb nicht weiterhin bloß geflickt werden. Seine Unzulänglichkeit ist vielmehr umgekehrt zu nehmen. Da, wo sich auf dem Grunde der kanonisierten Vereinbarungen über das Erlaubte und Verbotene des Fragens und Antwortens Risse zeigen, müssen sie ausdrücklich erweitert werden. Es gilt einzubrechen (...) Es geht also in den kommenden zehn Sätzen und in den weiteren Diskursen nicht darum, die Wünsche nur in Anspruch zu nehmen oder zur Geltung zu bringen, sondern ihre weithin unsichtbare Wirksamkeit mit Entschiedenheit zur Sprache kommen zu lassen.“

Diese zehn Abschnitte werden nun nacheinander „besprochen“. Jeder gibt seinen Eindruck zum besten und macht ihn an verschiedenen Textstellen fest: Was der Autor kritisiert, wie negativ er doch eingestellt sei, wo Unstimmigkeiten sind ... heute würde er nicht mehr so schreiben!

Irgendwann komme ich mit einem Vorschlag zum Vorgehen: Warum versuchen wir nicht in jedem einzelnen Abschnitt den Bruch aufzuzeigen, die Stelle zu finden, wo der Autor eingebrochen ist... Ein wissenschaftlicher Mitarbeiter nimmt sich die Mühe, mir anhand eines Beispiels in einem der Abschnitte zu zeigen, was ein Bruch ist. Die Erklärung: Man bricht dort ein, wo man ahnt, daß da eine Unstimmigkeit sei. So wie er eben meiner Ahnung vom Bruch zum Wissen vom Bruch verholfen hätte.

Er lächelt mich an, und es geht weiter mit Sprüngen und Assoziationen im Text hin und her. Und mit der Kritik natürlich: was der Autor kritisiert und was wir an ihm kritisieren.

Ich sage nichts mehr.

Immerhin werde ich am Ende der Sitzung gefragt, ob ich nicht am gemeinsamen Biertrinken teilnehmen will.

Ist es arrogant, daß ich nicht mitgegangen bin, daß ich nicht „aufgenommen“ werden will?

Aber wahrscheinlich denken sie sowieso: „Die traut sich bloß nicht.“

Konstanze Schubert

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