Ist so das Leben mit „uns Deutschen“?

■ Der iranische Schriftsteller Bahman Nirumand über das „Leben mit den Deutschen“ / Vorsichtig distanzierte und aufmerksame Beobachtungen über die zweite Heimat Exil / Das Buch über die Deutschen - auch eine Art Identitätsfindung in einem fremden Land+ZD+43.e

Als „Inländerin“ das Buch eines Ausländers über „die Deutschen“ zu rezensieren, ist ein schwieriges Unterfangen. Eigentlich müßte man sich selbst vorsorglich für befangen erklären, nur, an wen sonst, wenn nicht an die „Befangenen“ ist ein solches Buch addressiert? Und schließlich: wenn es schon kein Recht am eigenen Spiegelbild gibt, dann doch wenigstens ein Recht auf Neugier!

Tatsächlich versprach es spannend zu werden, das in Briefe an eine fiktive iranische Studentin verpackte Buch von Bahman Nirumand über sein Leben mit den Deutschen. Endlich einmal ein Buch nicht über, sondern von einem Asylsuchenden und Exilanten. Endlich auch ein Buch nicht über die alte Heimat, sondern mit Blick in die andere Richtung, auf das Zufluchtsland Deutschland. Ich war gespannt auf einen durch die Distanz der Fremdheit geschärften Blick, war neugierig zu lesen, was einem Ausländer als merkwürdig, liebenswert, abstoßend oder furchterregend auffällt - auffällt an uns Deutschen, die wir doch häufig gar nicht sein wollen. Ich hatte mich gefreut auf einen intelligenten, sensiblen Autor wie den jetzt 53jährigen Bahman Nirumand, der mit seinem Buch über das Schah-Regime Ende der 60er zum Klassiker der Studentenbewegung geworden war und der inzwischen - mit etlichen Versuchen, wieder in der Heimat heimisch zu werden

-die Hälfte seines Lebens in der Bundesrepublik verbracht hat. Typisierungen und

Ambivalenzen

Nach gut einem Drittel hat mich jedoch bei Nirumands Leben mit den Deutschen die Neugierde verlassen. Nicht bitter und dogmatisch, sondern eher vorsichtig distanziert schreibt Nihrumand seiner fiktiven Briefpartnerin Leila im Eingangskapitel zunächst, wie sie seiner Meinung nach sind, die Deutschen. Was dort als „typisch deutsch“ benannt wird, ist sicher kein Geheimnis: distanziert sind sie, rational, pünktlich und fleißig, ernst und manchmal ein wenig depressiv, weil nicht zuletzt der ewig graue Himmel ihr Gemüt prägt. Das klingt zusammengefaßt nach undifferenzierten, äußerst gewagten Pauschalisierungen, liest sich jedoch zunächst bei Nihrumand gar nicht so platt. Denn er beschreibt diese Charakteristika anhand von Situationen, die er selbst erlebt hat und anhand von Fragen, die für ihn nach wie vor ungeklärt sind. Da ist zum Beispiel die Frage, warum es ihm und seinen iranischen Landsleuten so schwer fällt in den Jubel über einen Sieg der deutschen Fußballnationalmannschaft einzustimmen, während Iraner in Frankreich oder Italien offenbar problemlos Partei ergreifen für die Equipe des Exillandes. Da ist die Bewunderung für die deutsche Philosphie und Literatur und der Widerwille gegen die Wegwerfmentalität und überfütterung mit Büchern und Informationen. Da ist die relative Freiheit und Unabhängigkeit von staatlichen Pressionen und die Lust vieler Deutscher, sich im Straßenverkehr, in der U-Bahn oder bei der Pflege des eigenen Gärtchens selbst zu Polizisten zu ernennen. Das sind, wenn auch nicht besonders originelle, so doch aufmerksam beobachtete Situationsbeschreibungen, bei denen Bahman Nirumand auch seine eigenen Ambivalenzen gegenüber diesen Typisierungen zumindest anspricht. Geschichte im Zeitraffer

Auch seine ersten Erlebnisse in Deutschland, wo er als 15jähriger auf dem Flughafen Frankfurt völlig allein ankommt, leben von der detaillierten Situationsbeobachtungen seiner Umwelt, dem Nachkriegsdeutschland der 50er Jahre: die Sonntagsspaziergänge und Kaffeerunden seiner Gastfamilie, die - für den jungen Iraner unbegreiflich - fast nie Besuch bekommt. Die Enge der Wohnungen, auf die sich das Leben reduziert, wo selbst Verwandte nicht mehr willkommen sind, oder der Kommißton in der Schule. All das sind Schilderungen, bei denen man sich zwar fragen kann, ob denn dieser vorgehaltene Spiegel tatsächlich ein richtiges Bild wiedergibt. Aber imerhin es ist ein Bild, in dem man Teile sehr wohl wiedererkennt.

Doch dann werden die Schilderungen Nirumands mit steigendem Tempo zum Schnelldurchlauf durch sein Leben. Der stilistische Kunstgriff des brieflichen Dialogs mit der Studentin Leila im fernen Teheran wird bundesdeutscher Geschichtsunterricht im Zeitraffer: Aufbauphase, Wirtschaftswunder, Studentenbewegung, Freundschaft mit Rudi Dutschke und Ulrike Meinhof, Stammheim und Ausländerfeindlichkeit der 80er Jahre. Immer unschärfer werden die Beobachtungsraster, immer schneller vergehen die Jahre und was am Ende übrig bleibt ist ein Abriß der Geschichte des Schriftstellers und Journalisten Bahman Nirumand. Doch anders als im Eingangskapitel beschrieben, daß nämlich dieses Buch über die Deutschen gleichzeitig ein Versuch der eigenen Identitätsfindung in einem fremden Land sei, gelingt auch dieses Nachdenken über den Menschen Nirumand nicht. Dazu traut sich Nirumand, je näher er an die Gegenwart kommt, zu wenig an seine eigene Person heran, nimmt zu wenig die Widersprüche in seiner eigenen Schilderung wahr und gibt zu wenig von sich preis. Und das sicher auch zu Recht, denn wenn es wirklich um seine Identitätssuche ginge, dann - so kann man nur hoffen - hätte ein Bahman Nirumand mehr zu sagen, als auf 150 Seiten eines Taschenbuchs.

Vera Gaserow

Bahman Nirumand, Leben mit den Deutschen, rororo aktuell, 12 Mark