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Rakowski will Bonn nicht melken

■ Polens Ministerpräsident auf Goodwill-Tour in der Bundesrepublik / Solidarnosc kann Gewerkschaft oder Partei werden - ein Interview im ZDF / Persönliche Beauftragte beider Regierungschefs ernannt

Bonn (dpa/taz) -Ein Durchbruch zur Verbesserung der deutsch -polnischen Beziehungen ist nach Gesprächen des polnischen Ministerpräsidenten Rakowski gelungen. Bundeskanzler Kohl wird vermutlich im Frühsommer offiziell nach Polen reisen, Bundespräsident von Weizsäcker am 1.September. Das wäre genau zum 50.Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen. Rakowski kam aus Anlaß des Geburtstagsempfangs für Willy Brandt nach Bonn, den Weizsäcker gegeben hatte. Er führte dabei „inoffizielle“ Gespräche mit dem Bundeskanzler, Außenminister Genscher und dem Bundespräsidenten, die sich schon am Wochenende zufrieden über die Gespräche äußerten. Offene Fragen sollten „persönliche Beauftragte“ beider Regierungschefs klären, als Sonderbeauftragte wurden der Abteilungsleiter im Kanzleramt Teltschik und der ZK -Abteilungsleiter Kucza eingesetzt.

Am Montag warb der polnische Ministerpräsident vor dem Deutschen Industrie- und Handelstag in Bonn um Unterstützung der Perestroika. Vom Erfolg der Umgestaltung hänge nicht nur das Schicksal Gorbatschows ab, sondern das Wohlergehen der ganzen Welt. Rakowski äußerte Kreditwünsche, wolle die Bundesrepublik aber nicht als „Milchkuh“ mißbrauchen. Polen habe zur Zeit 39 Milliarden US-Dollar Auslandsschulden und habe in den letzten sechs Jahren allein 14 Milliarden für die Bedienung der Kredite aufwenden müssen. Dies bedeute ein langsames Ausbluten seines Landes, das mindestens „eine wesentliche Zinsherabsetzung“ benötige. „Lebensfremde Doktrinen“ würde er nicht mehr verkaufen wollen, diese Sachen „kauft ja niemand mehr“. Die Wirtschaft müsse sich für Marktmechanismen öffnen. Die Zulassung der Gewerkschaft Solidarität sei ein wichtiger Schritt, doch werde hierdurch nicht eine einzige moderne Maschine ins Land kommen oder eine Produktionssteigerung in Gang gesetzt. Er befürchte eine Welle der „sozialen Demagogie“ in den Betrieben, denn die Gewerkschaften würden nun versuchen, sich „gegenseitig in ihrer Kampfbereitschaft zu überbieten“.

Am Vorabend hatte Rakowski im ZDF geäußert, der Solidarnosc stehe es frei, sich für die Rolle einer Gewerkschaft oder politischen Oppositionspartei zu entscheiden. Das eine schließe jedoch das andere aus. Dieser Unterschied habe „Folgen im öffentlichen Leben“. Aufgrund der letzten Entwicklung sehe man aber, daß „Walesa und seine Anhänger kein anderes Programm haben als wir“. Es gäbe zwei Möglichkeiten, miteinander auszukommen: „ein offener Wettbewerb, gemeint als politischer Kampf oder doch am runden Tisch eine gemeinsame Plattform vorzubereiten ... Wir könnten uns am runden Tisch einigen.“ Mit dem Kommunismus würde nicht Schluß gemacht, äußerte Rakowski, „unsere ideologische Formation“ sei in eine „andere Phase der Entwicklung eingetreten“. Man brauche mindestens eine Generation, ein „ohne Zweifel veraltetes System“ zu ersetzen. Auch Gorbatschow brauche viel Zeit, „und das ist dieses Dilemma“.

Die Rolle Polens in Europa beschrieb Rakowski so: „Polen war immer ein Land, in dem sich verschiedene Kulturen kreuzten, verschiedene Vorstellungen über das Leben, es gab eine Mischung von westlicher und östlicher Kultur. Wir sind genau in der Mitte Europas, das war in den letzten Jahrhunderten, und das bleibt auch.“

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