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Holland will Naziverbrecher begnadigen

■ Justizminister plant, die beiden letzten Kriegsverbrecher freizulassen / Weitere Inhaftierung „sinnlos und unmenschlich“ / Letztes Symbol der Abrechnung mit der Vergangenheit

Den Haag/Berlin (afp/taz) - Die beiden letzten in den Niederlanden inhaftierten Kriegsverbrecher sollen freigelassen werden. Wie die Amsterdamer Tageszeitung 'De Volkskrant‘ meldete, hat Justizminister Altes dem Parlament vorgeschlagen, die Deutschen Franz Fischer und Ferdinand aus der Fünten zu begnadigen. Die Regierung halte eine weitere Inhaftierung der beiden NS-Verbrecher für sinnlos und unmenschlich. Gestern beriet das Parlaments über den Antrag des Justizministers. Eine Entscheidung stand bei Redaktionsschluß noch aus.

Der 87jährige Fischer leitete als Chef des „Judenreferats“ in Den Haag die Deportation der Haager Juden in die Vernichtungslager. Aus der Fünten, heute 80 Jahre alt, war Hauptsturmführer und Chef der Amsterdamer „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“, die für die Organisation der Deportationen verantwortlich war. Zwei Schreibtischtäter, die während der deutschen Besatzungszeit den Tod von zehntausenden jüdischer Holländer sachlich-korrekt abwickelten.

Neben Fischer und aus der Fünten waren 1945 zwei weitere deutsche Kriegsverbrecher, der Leiter des Konzentrationslager von Amersfoort, Joseph Kotalla, sowie Willi Lages, Chef des Amsterdamer Sicherheitsdienstes, inhaftiert worden. Alle vier wurden 1950 zum Tode verurteilt, bereits ein Jahr später zu lebenslanger Haft begnadigt und in das Zuchthaus von Breda gebracht. Willy Lages wurde 1966 aus Krankheitsgründen freigelassen.

„Die Drei von Breda“ sollten nach dem Willen des damaligen Justizministers und späteren Premiers van den Agt bereits 1972 begnadigt werden. Nach dem Protest von Opfern und Widerstandskämpfern lehnte das Parlament den Vorschlag ab. Seit 1972 kann ohne Zustimmung des Parlaments keine Regierung Kriegsverbrecher freilassen. Nachdem 1979 Kotalla in seiner Zelle gestorben war, gab die Regierung vor zwei Jahren ein ärztliches Gutachten über den körperlichen Zustand der beiden Inhaftierten in Auftrag. Das Resultat wird bis heute geheim gehalten, so daß Beobachter davon ausgehen, es könne um die Gesundheit der „Zwei von Breda“ nicht zu schlecht bestellt sein.

Nach Angaben der „Aktion Sühnezeichen“ in den Niederlanden stehen die antifaschistischen Gruppen einer Begnadigung der beiden NS-Verbrecher zwiespältig gegenüber. Dabei wird nicht befürchtet, daß Neo-Nazis politischen Gewinn aus einer Freilassung ziehen könnten; doch die Niederlande verlören das letzte Symbol, mit der Vergangenheit abgerechnet zu haben.

smo/henk

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