: „Aids bei Kindern verdeutlicht die Bedrohung“
Symposium zu „HIV und Aids bei Kindern“ auf dem 2.Deutschen Aids-Kongreß in Berlin / Nur 50 Prozent der HIV-infizierten Mütter übertragen das Virus auf ihre Kinder / Psychosoziale Betreuung der betroffenen Familien ist notwendig ■ Aus Berlin Petra Dubilski
Ein kleines dunkelhaariges Mädchen tollt über den Spielplatz. Es schlittert die Rutschbahn runter, fällt hin und rangelt mit einem anderen, etwa gleichaltrigen Kind. Die Stimme aus dem Off sagt bedeutungsschwanger: Dagmar hat Aids. Eine Mutter erzählt, daß sie keine Probleme hätte, ihr gesundes Kind mit der kranken Dagmar spielen zu lassen. Aids -Aufklärung im Fernsehspot.
Eine realistische Situation? Keineswegs. Auf dem 2.Deutschen Aids-Kongreß in Berlin, der gestern zu Ende ging, wurde deutlich, daß die soziale Situation von HIV -infizierten beziehungsweise aidskranken Kindern noch immer sehr problematisch ist. Aids bei Kindern ist etwas Besonderes, konstatierte Professor Helge von der Universitätskinderklinik Berlin auf dem Symposium HIV und Aids bei Kindern in seiner Begrüßungsrede. Es mache die kollektive Bedrohung durch Weitergabe des Virus von einer Generation auf die nächste deut lich.
Gleichwohl ist nach dem neusten Stand der Forschung die Prognose bei Kindern besser als bislang angenommen. Mit Unterstützung des Bundesministeriums für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit und im Rahmen des Modellprojekts „Aids und Kinder“ werden an verschiedenen Universitätskinderkliniken in der Bundesrepublik Kinder von HIV-infizierten Müttern in einer Langzeitstudie untersucht. Erste Ergebnisse, durchaus überraschend, wie Professor Helge bestätigte, zeigen, daß infizierte Mütter in „nur“ unter 50 Prozent der untersuchten Fälle das Virus auf das Kind übertragen haben. Auch sind die Kinder länger als bislang in der Aids-Forschung beschrieben in einer symptomarmen Latenzzeit. So erfreulich diese Ergebnisse auch zunächst anmuten, bedeuten sie doch nicht nur neue Anforderungen an die Pflege der Kinder, sondern schaffen vor allem auch im Bereich der psychosozialen Betreuung der Familien neue Probleme.
Aus diesem Grund wird im Rahmen des Projektes „Aids und Kinder“ ein Schwerpunkt auf „familienstützende“ Maßnahmen gelegt, bei denen die unterschiedlichen Bedürfnisse berücksichtigt werden müssen: Ob eine Familie einen mit HIV infizierten bluterkranken Jugendlichen zu betreuen hat oder ob eine HIV-infizierte Mutter ein Kind bekommt, macht in der Problembewältigung einen nicht zu unterschätzenden Unterschied aus.
HIV-infizierte Mütter mit exponierten oder infizierten Kleinkindern, die größte Gruppe in der untersuchten Population, haben mit erheblichen Schuldgefühlen zu kämpfen. Die „eigene Verfehlung“, sei es Drogenabhängigkeit, seien es „falsche“ Sexualkontakte, habe das „Leiden eines unschuldigen Kindes“ verursacht. Die Vorurteile gegen diese Mütter sind entsprechend groß: Die Zuordnung zur Drogenabhängigkeit, zur dadurch bedingten Kriminalität und zur Prostitution reichen in der Regel schon aus, um sie in die soziale Isolation zu drängen.
Aids erschüttert derzeit in den betroffenen Familien existentiell die vorhandenen Ressourcen, so Frau Theilen von der Universitätskinderklinik Heidelberg. Es bedroht die Familiendynamik und die gewachsenen sozialen Außenbeziehungen. Durch Verschweigen - begründet durch Angst vor Stigmatisierung der Eltern - kann die Dauerbelastung durch ein HIV-infiziertes Kind nicht abgearbeitet werden. Auch Therapeuten und Helfer sind angesichts der sozialen Implikationen hilflos. Es müssen also Methoden ausprobiert werden, so Frau Theilen, die den Zugang zu den Betroffenen und ihrer Lebensrealität ermöglichen und über das Betreuen hinaus die lebensbejahenden Selbsthilfe- und Selbstheilungspotentiale in Gang setzen.
Der Aufbau vertrauensvoller Beziehungen zu diesen Familien erfordert ein sensibles Vorgehen. Dementsprechende Hilfsangebote wurden unter anderem an der Uni-Klinik München entwickelt.
Konstruktive Ansätze zur Lösung ihrer Probleme sind bei den HIV-positiven Müttern durchaus vorhanden, mehr noch als bei den Vätern. Aber häufig scheitert konkrete Alltagsbewältigung an fehlenden staatlichen Grundsatzentscheidungen. Das macht sich vor allem beim Problem der Unterbringung der Kinder in Kindertagesstätten bemerkbar. Mit freien Trägern habe sich eine gute Zusammenarbeit entwickelt, so die Erfahrung des Berliner „Arbeitskreises zur Förderung von Pflegekindern“. Behörden jedoch reagieren häufig ablehnend. Der Grund liegt meist in der Uninformiertheit und den eigenen Ängsten vor Ansteckung. Die Suche nach qualifizierten Pflegestellen ist daher vorrangig.
Ein HIV-infiziertes oder aidskrankes Kind zur Pflege aufzunehmen setzt jedoch ein hohes Maß an Belastbarkeit voraus. Eine Belastbarkeit, die auf keinen Fall überschätzt werden darf. Lis Spans von der Kinder-Aids-Hilfe Düsseldorf und selber Pflegemutter eines aidskranken Kindes war zum Aids-Kongreß eingeladen, um ihre Erfahrungen als Betroffene zu schildern. Sie sagte ab. Ihr Pflegekind ist vergangene Woche an Aids ge storben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen