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Nicht gelungen, aber doch verhältnismäßig

■ Polizeieinsatz gegen Anti-DVU-Demonstranten vor der Bürgerschaft: Nur Grüne mochten die Massenverhaftung verurteilen Innenbehörde: Eventuelles Fehlverhalten einzelner Beamter wird untersucht / Zurückhaltung bei der SPD

„Ich erwarte, daß auch andere den Einsatz der Polizei verurteilen“, hatte Martin Thomas begründet, warum die Grünen eine aktuelle Stunde zur „wahllosen Festnahme von Anti-DVU-Demonstranten“ in der Stadtbürgerschaft beantragt hatten. Die Erwartung des Grünen wurde nicht erfüllt. Zwar mochten CDU und FDP ein Fehlverhalten einzelner Polizisten nicht ausschließen, zwar hatte auch die SPD einige in Frageform gekleidete Vorbehalte anzumerken, von einer Verurteilung der Massenverhaftung aber konnte gestern in der Stadtbürgerschaft keine Rede sein.

Am Samstag vor einer Woche hatte die Polizei 30 von 40 Anti -DVU-Demonstranten zur erkennungsdienstlichen Behandlung mit auf die Wache genommen und bis zu drei Stunden dort behalten. „Verdacht auf schweren Landfriedensbruch“, begründete die Polizei ihr Vorgehen und verwies auf einen Farbbeutel, der gegen einen DVU-Bus geworfen worden war, und auf einen Tränengasangriff auf einen der Beamten.

Den Tränengasangriff mochte auch Martin Thomas „nicht verteidigen“, doch damit könne man die Massenverhaftung nicht rechtfertigen. „Wenn ein Mann gesucht wird, warum wurden dann auch neun Frauen verhaftet?“ Die Polizeiaktion sei entweder als Freiheitsberaubung oder als Vorbeugehaft zu werten, und dafür habe sich die Innenbehörde und die politische Führung zu entschuldigen.

Das mochte Senatsdirektor Helmut Kauther in Vertreteung des bettlägerigen Innensenators Peter Sakuth nicht tun. Er gehe

davon aus, daß die Verhältnis mäßigkeit gewahrt worden sei. Gegen 29 der 30 Festgenommenen werde wegen verschiedener Straftaten, unter anderem Landfriedensbruchs, ermittelt. Die „Solidarität der Demonstranten“ sei bei dieser Demonstration den Falschen gewährt worden. „Es fällt mir schwer, die Demonstration insgesamt als gewaltfreie und friedliche zu bezeichnen.“ Doch nach der grundsätzlichen Rechtfertigung der Festnahmen gab es auch noch ein paar kritische Töne gegenüber der Polizei: „Eine Deeskalation des Demonstrationsgeschehens ist nicht in wünschenswerter Weise geschehen.“ Der Innensenator habe bereits veranlaßt, daß eventuellem Fehlverhalten einzelner Beamter nachgegangen werde.

Das Behindern von Bussen als Teil gewaltfreier Demonstrationen gegen Rechtsextremisten kann sich auch der SPD-Abgeordnete und neue Sprecher der Innendeputation, Jürgen Janke vorstellen. Doch anders als dem SPD-UB-Bremen -Ost und auch dem SPD-Landesparteitag, kam dem Fraktionssprecher direkte Kritik an der „Unverhältnismäßigkeit“ des Polizei-Einsatzes nicht über die Lippen. Statt zu verurteilen, wollte er nur fragen und zwar warum und nach welchen Kriterien verhaftet worden sei, ob denn schwerer Landfriedensbruch auch tatsächlich die richtige Rechtsgrundlage sei und warum bis zur Freilassung der Einkassierten bis zu drei Stunden vergingen.

Da ging selbst der innenpolitische Sprecher der FDP, Friedrich van Nispen, weiter. Eine Pauschal- oder Vorverurteilung

lehnte er zwar ab, aber Zweifel, ob die Polizei „klug und umsichtig“ vorgegangen sei, waren ihm trotz eines „unvollständigen Bildes“ gekommen. Die Führung der Innenbehörde solle darüber nachdenken, „wie die Polizei besser eingestellt werden kann.“

CDU-Sprecher Borttscheller,

der SPD und Grünen noch vor einer Woche vorgeworfen hatte, die DVU politisch aufzuwerten, hielt es zwei Tage nach den Berliner Wahlen für „naheliegend“ mit gewaltlosem Widerstand zu verhindern, daß rechtsextremistische Gruppen öffentlich ihre Meinung äußern. Wenn allerdings

DKP'ler mit auf Unterschrif tenlisten gegen Neofaschismus stehen, dann ist das für Bortscheller ein Beweis dafür, daß „Antifaschismus noch lange nicht demokratisch ist“. Der Einsatz vom 21.1. ist für Borttscheller denn auch „dem Grund nach gerechtfertigt“.

In Zukunft sollen die Innenpolitiker schon im Vorhinein über Polizeimaßnahmen mitdiskutieren dürfen. Senatsdirektor Kauther kündigte an, daß in der Innendeputation so „früh wie möglich“ über polizeiliche Konzepte informiert werden soll.

hbk

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