'Vorwärts‘ wird eingestellt

■ SPD-Vorstand beschloß Ende des sozialdemokratischen Traditionsblatts Redaktion will neue Verhandlungen zur Übernahme des Blattes

Bonn/Berlin (dpa/taz) - Der 40köpfige Vorstand der SPD war zwar am späten Montagabend kaum noch beschlußfähig, aber dennoch entschied man mit 13 zu sieben Stimmen, eine mehr als hundertjährige sozialdemokratische Tradition zu liquidieren: der 'Vorwärts‘, die sozialdemokratische Wochenzeitung, wird eingestellt, die Beschäftigten entlassen, der Titel auf das Mitglieder-Blatt 'Sozialdemokrat-Magazin‘ übertragen. Damit haben die langjährigen Auseinandersetzungen um die SPD-Wochenzeitung dasselbe Ende gefunden wie fast alle anderen Zeitungen aus dem einst stolzen sozialdemokratischen Presseimperium.

In der Redaktion wurde die Entscheidung des Vorstands mit Bestürzung und Empörung aufgenommen. Auf einer Betriebsversammlung beschlossen die 47 'Vorwärts' -Beschäftigten eine Resolution, in der der Vorstand zu weiteren Verhandlungen über eine Übernahme des Blattes durch die Belegschaft aufgefordert wird. Diese in einem Plan des Chefredakteurs Verheugen favorisierte Lösung hatte der Vorstand in seiner Entscheidung vom Montag ebenfalls abgelehnt.

SPD-Schatzmeister Hans-Ulrich Klose begründete die Schließung des sozialdemokratischen Traditionsblatts mit den laufenden Verlusten der Zeitung. Allein im letzten Jahr habe es einen realen Verlust von 4,9 Millionen Mark gegeben, insgesamt sei der 'Vorwärts‘ über die Jahre mit rund 50 Millionen Mark bezuschußt worden. Als sich aus einer Umfrage der SPD-Bezirksvorsitzenden ergeben habe, daß es unmöglich sei, die verkaufte Auflage des Blattes (derzeit 44.000) in Zukunft um 50 Prozent zu steigern, habe er dem Partei Fortsetzung auf Seite 2

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vorstand die Einstellung empfohlen. „Niemand entscheidet leichten Herzens: es geht nicht mehr, aber es geht auch nicht um jeden Preis“, meinte Klose am Dienstag. Es gebe neben dem 'sozialdemokrat-magazin‘ und den elektronischen Medien keinen Markt mehr für eine Parteizeitung wie den 'Vorwärts‘.

Ganz anderer Meinung ist die Redaktion. Die stellvertretende Be

triebsratsvorsitzende Marianne Hochgeschurz gestern gegenüber der taz: „Das Blatt hat eine reale Chance!“ Die 'Vorwärts'-MitarbeiterInnen werfen dem Schatzmeister vor, das Defizit zu hoch anzusetzen. Tatsächlich habe es nicht 4,9, sondern 3,3 Millionen Mark betragen. Die 'Vorwärts' -Beschäftigten unterstützen den sogenannten „Verheugen-Plan“ ihres Chefredakteurs, der eine Übernahme der Wochenzeitung durch die Belegschaft für den Preis von einer Mark vorsieht. Das notwendige Kapital für die Weiterführung soll durch die nun anfallenden Sozialplangelder und durch eine Finanzierungskampagne innerhalb der Partei aufgebracht werden. Schon jetzt lägen zahlrei

che Zusagen von prominenten Sozialdemokraten vor, hieß es gestern auf der Betriebsversammlung. Gleichzeitig soll die Redaktionsarbeit verbessert werden, wobei die politische Orientierung trotz aller leidvollen Erfahrungen mit der Partei nicht verändert werden soll.

Noch hofft man auf Gespräche mit dem Parteivorstand, zumal Streikaktionen gegenüber dem Stilllegungsbeschluß der SPD -Spitze kein Druckmittel mehr sind. Die Aussichten aber sind schlecht. Es habe in der Vergangenheit schon mehrere „Galgenfristen“ für den 'Vorwärts‘ gegeben, meinte Klose gestern. Erschwerend kommen offenbar Steuernachforderungen des Bonner Finanzamts hinzu.

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