: „Nur die Kuh stört noch“
„Rechnergesteuerter Milchentzug“ heißt eine der atemberaubenden Präsentationen dieser „Grünen Woche“. Beschrieben wird damit ein Vorgang, den man bisher landläufig als „melken“ bezeichnet hat. Doch der Einzug von Computer-Elektronik und Robotik in den Kuhstall läßt von der traditionellen Art des Melkens nichts mehr übrig. Im postmodernen Kuhstall des Jahres 1995 soll die Milch aus den Eutern gepumpt werden, ohne daß eine Person den Kuhstall überhaupt noch betreten muß. Und so stellen sich die Betriebstechniker der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft den Ablauf in einem vollautomatisierten Stall vor: Die Kuh „Berta“ verspürt Hunger und sucht deshalb eine Box auf. Kaum hat sie die Boxenstation betreten, schließt sich hinter ihr die Verriegelung. Mithilfe spezieller Sensoren wird „Berta“ zunächst identifiziert. Dann „sieht“ der Rechner nach, wann sie zuletzt in der Box war, und der einprogrammierte Kuh-Kalender entscheidet über die Futtermenge, die in die Freßrinne einlaufen darf.
Sind mindestens vier Stunden seit dem letzten Boxen-Stop vergangen, wird „Berta“ auch gemolken. Ein Laserstrahl, der über das Euter geworfen wird, und das Auge einer Videokamera treten in Aktion. Sie müssen die Lage der Zitzen feststellen. Bleibt die Kuh schließlich in einer bestimmten Position stehen, die mit Hilfe der „intelligenten Sensorik“ rückgemeldet wird, schwenkt der Roboter-Arm mit dem Melkzeug aus und bleibt direkt unter dem Euter stehen: „Berta“ wird angerüstet, die Milchgeber fahren hoch, stülpen sich über ihr Euter und beginnen zu pumpen.
Die abgeflossene Milch wird nun registriert, bis die Milchmenge klein und das Euter leer geworden ist. Dann leitet der Bordrechner den Rückzug ein. Die Milchgeber lösen sich, der Roboterarm geht in die Ausgangsstellung zurück. Der Boxenverschlag springt auf, „Berta“ darf zurück zur Herde.
„Do mueß I jo gar nemme in moin Schdall“, kommentiert ein Bauer verblüfft die Vorführung auf dem Messestand. Doch die Demonstrationsanlage auf der „Grünen Woche“ hat einen entscheidenden Vorteil: die Kuh, die hier gemolken wird, ist aus Holz. „Wir haben ein unvorhersehbares Element in diesem System, nämlich das Tier“, erklärt Ingenieur Dieter Schillingmann die Problemlage. Die Bewegungen der Kuh zu erkennen und die Robotik daran anzupassen, bereitet den Entwicklern noch Mühe und erfordert den Einsatz „intelligenter“ Steuerungstechnologie. Spitze Bemerkung eines Messe-Besuchers: „Das einzige was hier noch stört, ist die Kuh, die muß noch raus.“ Doch die Erfinder sind zuversichtlich: „Im nächsten Sommer gehen wir unter die Kuh“, kündigt Schillingmann erste Melkversuche am lebenden Tier an. In drei bis fünf Jahren soll die Automatisierung marktreif sein.
Geworben wird für den Roboter im Melkstall mit Human Touch und - natürlich - mit den Argumenten der Bauern-Opposition. Eine artgerechte Herdenhaltung wird versprochen, bei der die Kuh in einer Art Rückgewinnung der Autonomie den Zeitpunkt des Fressens und Melkens selbst bestimmt. Denn dieser Zeitpunkt richte sich bekanntlich nicht nach den Melkzeiten des Bauern, sondern nach „natürlichen physiologischen Gesetzen bei der Ernährung und Milchbildung“. Zurück zur Natur - mit dem Milch-Roboter!
Aber nicht nur der Kuh, auch dem Bauern soll es besser gehen. Er darf endlich einmal in Urlaub fahren, während zuhause der Rechner sein Vieh unter Kontrolle hält. Wie ein Sklave sei der Bauer an seine Tiere gebunden, die Automation könne ihn davon befreien. Dieter Schillingmann sieht schon die 35-Stunden-Woche für die Bauern am Horizont erscheinen. Arbeitszeitersparnis und mehr Freizeit seien direkte Konsequenzen der Automation.
Und noch einen dritten Vorteil soll das neue System mit sich bringen: die Erkennung von Krankheiten. Spezielle Bio -Sensoren könnten die Milchtemperatur und die elektrische Leitfähigkeit erfassen und dabei Veränderungen frühzeitig anzeigen, die auf Krankheiten hindeuten.
Mit der Entwicklung von comuptergesteuerten Robotern wurden frühere Ansätze eines bedienungslosen Milchentzugs offenbar aufgegeben. So war anfangs noch erwogen worden, den Kühen durch einen operativen Eingriff einen Katheder zu legen, über den die Milch dann rund um die Uhr abfließen sollte. „Nicht zuletzt die emotionalen Vorbehalte der Öffentlichkeit“, so ein Info der Bundesforschungsanstalt, hätten aber die Entwicklung der Kuh am Tropf gestoppt.
Die von uns befragten Besucher der „Grünen Woche“ hielten den automatisierten Kuhstall durchweg für eine wahrscheinliche Entwicklung. Man faßt sich an den Kopf, glaubt aber an die Unausweichlichkeit der Automation. Christian Sternberg vom Gen-ethischen Netzwerk, das seinen Stand direkt gegenüber vom Kuh-Roboter aufgeschlagen hat, gab den Ingenieuren noch eine kleine Anregung mit auf den Weg: „Die brauchen der Kuh jetzt nur noch das Dämlichkeits -Gen einsetzen, dann geht die auch noch freiwillig in die Box ...“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen