Rasierpinselpolitik

Frankfurt (taz) - Keine(r) hat sich bislang dafür interessiert, ob der Berliner Wahlsieger in Nöten, Walter Momper, Naßrasierer ist oder nicht. Denn Naßrasierer müssen

-wegen der Schärfe ihres Messers - genauer in den Spiegel sehen als andere Männer.

Der ehemalige hessische Ministerpräsident Holger Börner war 1985 noch Naßrasierer. Und genau deshalb wollte der Mann nie mit den Grünen auch nur reden, denn „ich möchte doch am anderen Tag noch in den Spiegel gucken können“ (O-Ton Börner).

Diese Grünen, denen man am besten mit der „Dachlatte“ das struppige Fell gerbt, seien schließlich „politikunfähig“ und ihr „Verhältnis zur Gewalt völlig unklar“, meinte Börner. Und Fotos von ihm zusammen mit den Grünen, die könnten nur als „Fotomontagen“ in Umlauf gebracht werden. Der Dicke aus Hessen war auch der Erfinder der „Essentials“. Während Momper heute mit der AL nicht über die alliierte Truppenpräsenz, die Bindung Berlins an die Bundesrepublik und das Gewaltmonopol des Staates verhandeln will, knallte Börner den hessischen Grünen seinerzeit seine Dreifaltigkeit vor die Latzhosen: Keine Debatten über Militär, Polizei und Startbahn-West.

Doch wer von Essentials redet, der steht kurz vor dem Sprung an den Verhandlungstisch: Börner kaufte sich damals einen elektrischen Rasierapparat und drehte daheim (fast) alle Spiegel um. Die rot-grünen Verhandlungen, die schließlich zur Bildung der Koalition führten, konnten feierlich eröffnet werden.

Momper war am Tag nach der Wahl für Stunden verschwunden. Einige wollen ihn in Kassel, andere in Wiesbaden gesehen haben - auf der Suche nach Holger Börner. Wieder andere schwören Stein und Bein, den Momper bei einem Kreuzberger Trödler entdeckt zu haben. Dort soll der sparsame Sozialdemokrat seinen Dachshaar-Pinsel samt Rasiermesser gegen einen gebrauchten „Braun“ mit Schwingköpfen und Turbolader getauscht haben. „Erbarmen!“ Zu spät: der Momper kommt.

kpk