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Disneyland im Colorado-Schnee

■ Die hingebungsvoll ausgetüftelten Abfahrtsstrecken bei der Ski-WM sorgen für Skandale

Berlin (taz) - Mit 120 Stundenkilometern kam der Schweizer WM-Favorit Pirmin Zurbriggen, der beim Training am Vortag zweimal Bestzeit gefahren war, die Abfahrtsstrecke in Beaver Creek heruntergebraust.

Noch schneller war nur der Wind. Der brachte es auf 130 km/h und hatte Übles vor mit dem wackeren Abfahrer aus den Alpen. Was ihm am „Spruce Saddle Jump“, einem der zehn gewaltigen Sprünge auf dieser Strecke, wiederfuhr, beschreibt Zurbriggen folgendermaßen: „Zuerst kam der Wind von unten und drückte die Ski hoch, dann traf mich eine starke Windböe auch von hinten. Ich hätte fast einen Salto geschlagen.“ Bei der Landung riß es dem Schweizer die Ski auseinander, er überschlug sich mehrmals, konnte sich jedoch wenig später, um etliche Prellungen bereichert, aufrappeln und seinen Weg auf Skiern fortsetzen. Das Training wurde abgebrochen.

Weit weniger Glück als ihr Teamgefährte hatte beim ersten Abfahrtstraining der Frauen in Vail die Schweizerin Beatrice Gafner. Sie zog sich bei einem Sturz am künstlich eingebauten „Columbine-Jump“, wo die Läuferinnen fünf Meter hoch und dreißig Meter weit flogen, einen Schienbeinbruch und einen Kreuzbandriß zu.

„Man wurde so hoch geschleudert, daß man die herrlichste Aussicht auf Vail hatte“, berichtete die Österreicherin Sigrid Wolf. Erst als vier Fahrerinnen gestürzt waren, sorgte der Boykott des bundesdeutschen Teams für den Abbruch des Trainings. Anschließend wurde der Kurs durch eine neue Streckenführung entschärft. Regine Mösenlechner aus Inzell fuhr daraufhin Trainingsbestzeit und urteilte: „Das ist ein selektiver Kurs, WM-würdig.“

Scharfe Kritik zogen die Verantwortlichen für die Strecken und das Training auf sich. Am Morgen vor dem fatalen Frauen -Training hatten mehrere Betreuer ein Abtragen der gefährlichen Sprünge verlangt, waren jedoch bei Pistenchefin Cindy Nelson, WM-Zweite von 1982, und der Jury auf taube Ohren gestoßen. „Wenn was geschieht, können wir immer noch etwas ändern“, hatte der Jury-Vorsitzende O'Connor lapidar erklärt.

Auch die Trainingsfreigabe bei den Männern trotz des starken Windes war höchst umstritten. „Es ist endlich Zeit, daß in die Jury auch bei einer WM Leute berufen werden, die die Materie im Griff haben“, wetterte der Schweizer Cheftrainer Frehsner. Im Gegensatz zu den Weltcup-Rennen sitzen bei WM und Olympischen Spielen nur Funktionäre, keine Trainer in der Jury.

Schnee-Mus

Vom Wind einmal abgesehen, waren die Rennläufer mit der vom Olympiasieger 1972 Bernhard Russi ausgeklügelten Abfahrtspiste in Beaver Creek jedoch zufrieden. Einige Hügel waren seit dem Vorjahr, als es Klagen gegeben hatte, abgetragen worden, und eine neue Streckenführung nahm der „Zehn-Schanzen-Tournee“ zusätzlich einiges von ihrem Schrecken. Dennoch sind die Fahrer rund dreihundert der 3.621 Meter langen Strecke in der Luft.

Die blumigen Beschreibungen des Kurses, dessen Hüpfer Namen wie „Willy Face“ oder - sehr beziehungsreich - „Amen“ tragen, läsen sich wie ein Prospekt von Disneyland, teilte dpa mit. Einen besonderen Leckerbissen hat sich Russi mit der „Rattlesnake-Alley“ ausgedacht. Dabei handelt es sich um ein 150 Meter langes bobbahnähnliches, kurviges Stück mit eisigen Wänden.

Probleme bereitet den Aktiven vor allem der als „Colorado -Pulver“ berüchtigte Schnee. Ein flaumiger, lockerer Pulverschnee, der daher rührt, daß die Strecken in großer Höhe liegen, der Start der Herren-Abfahrt bei etwa 3.500 Metern. Die geringe Luftfeuchtigkeit sorgt dafür, daß der Schnee stets pulvrig bleibt und ständig eine Art Schnee-Mus auf den Pisten liegt. Ein ungewohntes Phänomen für die europäischen Läufer, die pures Eis gewöhnt sind. Ob Pirmin Zurbriggen beim heißen Tanz im Mustopf heute (Kombinationsabfahrt) und morgen (Spezialabfahrt) mitmischen kann, weiß indes nur der Wind.

Matti

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