: UNVERKÄUFLICHE MUSTER
■ Anne Frechen und Degenhard Andrulat bei Wiensowski & Harbord
„Nein. Das soll keine Galerie sein. Wir nennen uns nur Wiensowski & Harbord, weil wir gar nicht die Möglichkeiten haben, unsere Künstler finanziell so zu unterstützen wie es eine normale Galerie tun muß.“
Auf jeden Fall aber ist die alte Berliner Wohnung in der vierten Etage im Vorderhaus Goethestraße 69 im Augenblick zu nichts anderem zu benutzen als dazu, Kunst zu präsentieren, weil die Besitzverhältnisse noch ungeklärt sind. Es klingt wie ein Witz. Aber da hat jemand eine Wohnung von jemandem gekauft, der dazu nicht berechtigt war. Ein modernes Großstadtmärchen.
Die Wohnung ist also leer, die Tapeten sind von den Wänden entfernt, die Löcher verschmiert, so daß die Räume den Charme des Martin-Gropius-Baus und des Hamburger Bahnhofs besitzen, als diese noch nicht den renovierungssüchtigen Erneuerern in die Hände gefallen waren. Wenn man es nicht weiß, ahnt man nicht, was in dieser Wohnung schon alles stattgefunden hat. In dieser Wohnung wurde also 'Die Venusfalle‘ gedreht, was die Nachbarn von gegenüber dazu bringt, mit Ferngläsern in den Fenstern zu liegen, weil sich ja doch mal wieder eine nackte Frau auf dem Tisch reckeln könnte.
Wahrscheinlich sind sie enttäuscht, daß die Aktivitäten bei Licht sich darauf beschränken, Kunstwerke hin und herzuschleppen, um den möglichst besten Platz zu finden.
Etwa für Anne Frechens 'Eichenkugeln‘, zwei groß gehauene Eichenklötze, die ein ungeschickter Riese zum Ballspielen geschnitzt haben könnte. Zwei Kugeln, die mit gutem Willen zu bewegen sind. Zwei grobschlächtige Kugeln, die die Idee der Kugel in sich tragen, die aber ungeeignet sind, sie zum Kegeln auf einer Scherenbahn zu bearbeiten, weil sie Risse haben. So liegen sie nichtsnutzig herum. Man schaut sie an und weiß, daß man sie nicht anfassen will und kann, weil man eine Idee nicht anfassen kann. Dazu hängen an den Wänden zwei großformatige Fotos einer dieser Eichenkugeln, die mittels Doppelbelichtung beziehungsweise Drehung den Eindruck erwecken, es seien zwei. Diese Dopplung der Ansicht einer Sache ist von Anne Frechen fast zum Prinzip erhoben worden, was, wenn man so will, auf ihren Lehrmeister Timm Ulrichs zurückzuführen ist, der das Spiel mit mehrfachen Sichtweisen in seinen Arbeiten ähnlich und gerne betreibt. Das führt bei manchen Arbeiten von Anne Frechen allerdings schnell zur Ermüdung, wenn sie Alltagspostkarten doppelt arrangiert. In anderen Arbeiten, wie den Bildern einer französichen Stierkampfarena, gelingen ihr aber gerade durch diese Vervielfältigungen reizvolle Perspektiven.
Der zweite Künstler, den man bei Wiensowski & Harbord vorgestellt bekommt, lebt und arbeitet in Braunschweig als Lehrer, wo Anne Frechen unter anderem einen Lehrauftrag an der dortigen Hochschule für Bildende Künste hat, während sie sonst in Bleckede an der Weser lebt und träumt, mit einem Harmonium bewaffnet mit den Weserschiffern zu reisen.
Degenhard Andrulat hat ein anderes Sujet. Wenn die 'Galeristen‘ allerdings sagen, beide produzierten mehr oder weniger unverkäufliche Kunst, so sei hier erwähnt, daß erst letztlich Rainer Fetting in der Galerie Raab seine Walderfahrungen vorgestellt hat, und wie auch Jiri Georg Dokoupil in der Galerie Sonne nichts anderes im Kopf herum geht, als den Wald vor lauter Bäumen sichtbar werden zu lassen. Degenhard Andrulat setzt in seinem Fall auf die Wirkung, die der Wald hat, wenn man ihn lange unberührt findet. Der Mensch war in seinen Bildern schon mal dort und hat unübersehbare Steinquader zurückgelassen, die allerdings nicht direkt vom Sonnenlicht getroffen werden, das durch die Blätter auf den Boden fällt und das Laub zum irrlichtigen Farbenspiel anregt, ohne daß es jemandem nutzt und nur sich selbst genüge ist. Vielleicht ist dieser Wald auch über unsere Machwerke hinweg gewachsen, ohne daß wir noch gegen die Natur einzuschreiten vermögen. Vielleicht sind wir ja gar nicht mehr da, in diesem Wald, den keiner sieht, den keiner pflegt und hegt und den auch niemand mehr bewohnt. Es ist ein freundlicher dunkler Wald, er tut niemandem etwas, und ihm tut niemand was. Er ist die Ruhe nach dem Sturm. Die Sonne scheint harmlos wie immer.
Qpferdach
Anne Frechen und Degenhard Andrulat bei Wiensowski & Harbord, Goethestraße 69, Vorderhaus, vierte Etage. Öffnungszeiten Fr-So 14-18 Uhr. Bis zum 5.Februar
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