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Berliner Wahlergebnis gibt Washington zu denken

US-Medien kommentieren vor allem das Abschneiden der „Republikaner“ / Offizielle Stellen noch ratlos / Amerikanische Konservative kritisieren Bonner CDU / Sie machen „Identitätskrise“ der Partei und „brüchige Außenpolitik“ für den Wahlausgang verantwortlich  ■  Aus Washington Stefan Schaaf

Überraschung, Ratlosigkeit und Verärgerung über den politischen Kurs der CDU kennzeichnen die Reaktionen politischer Experten in Washington auf das Ergebnis der Berliner Abgeordnetenhauswahlen vor einer Woche. „Ich habe einige drastische Kommentare über die politische Richtungslosigkeit der Bonner Koalition gehört, die offenbar zu den Stimmengewinnen am linken und rechten Rand geführt hat“, sagt einer von ihnen. Ähnlich wie in der Bundesrepublik wurde dabei dem unerwartet erfolgreichen Abschneiden der rechtsextremen „Republikaner“ von den US -Medien mehr Aufmerksamkeit geschenkt als der Tatsache, daß es - dank der Stimmenzugewinne von SPD und Alternativer Liste (AL) - zum erstenmal seit vielen Jahren wieder eine linke Mehrheit im Rathaus Schöneberg gibt. Die 'New York Times‘ etwa widmete die Hälfte ihres Artikels über das Wahlergebnis den rechtsextremen „Republikanern“ und den Protesten in Berlins Straßen, erwähnte die AL hingegen mit keinem Wort. „Die Buchstaben SS haben sofort Erinnerungen an die Bitburg-Affäre geweckt“, beschreibt Gerald Livingstone, Direktor des „American Institute for Contemporary German Studies“, die US-amerikanische Sichtweise der Berliner Situation. Er erwartet nicht, daß die Alliierten nun womöglich noch vor etwaig vorgezogenen Neuwahlen - zu einem Verbot der „Republikaner“ schreiten werden.

Die Bush-Administration ist gegenwärtig kaum in der Lage, sich mit der neu entstandenen politischen Situation in Berlin zu befassen. Die mit Europa beschäftigten Instanzen im State Department und im Nationalen Sicherheitsrat befinden sich noch im personellen Umbruch. Auf jeden Fall will man den Eindruck vermeiden, Druck auf die Parteien in Berlin auszuüben, etwa, um eine Regierungsbeteiligung der AL zu verhindern. Entsprechend zugeknöpft sind die Auskünfte des State Departments. Auf ein eventuelles Verbot der „Republikaner“ befragt, verweist die Pressestelle lediglich auf ein Statement vom Tag nach der Wahl, in dem „Zusammenarbeit mit den gewählten Amtsträgern in Berlin“ angekündigt wird - „wie sie auch in der Vergangenheit gepflegt wurde“. „Die Administration weiß nicht, was sie sagen soll, weil sie nicht weiß, was in Berlin passieren wird“, meint der Politologe und Deutschland-Experte Norman Birnbaum. „Aber faktisch besteht ein Veto der Alliierten gegen eine Regierungsbeteiligung der AL“, über das sich Walter Momper kaum hinwegsetzen können werde.

Sorgen über die gegenwärtig zu beobachtenden Verschiebungen in der politischen Loyalität der bundesdeutschen Bevölkerung plagen besonders die politische Rechte in den USA. Ihr liegen die jüngsten Emnid-Umfrageergebnisse, denen zufolge drei von vier Deutschen „keine Bedrohung aus dem Osten“ mehr sehen, schwer im Magen. Das 'Wall Street Journal‘ machte zwei Tage nach der Berliner Wahl in einem bitteren Kommentar nicht nur Genschers FDP, sondern auch eine von einer „ausgewachsenen Identitätskrise“ geplagte CDU und deren „brüchige Außenpolitik“ verantwortlich: „Unter Druck von Genscher und den Publicity-Erfolgen Gorbatschows hat die CDU sich auf eine Haltung 'gleicher Distanz‘ in Ost-West-Fragen zubewegt, aus der nur Neutralismus folgen kann.“ Kim Holmes, Deutschland-Experte der erzkonservativen 'Heritage Foundation‘, hält das Berliner Wahlergebnis ebenfalls für einen Ausdruck des Unmuts über die Bonner Politik und das „Umherdriften“ der Kohl-Regierung. Nach fünfmaligen Stimmenverlusten der CDU müsse man langsam befürchten, daß Kohl auch die nächsten Bundestagswahlen verlieren werde. Eine mögliche Regierungsbeteiligung der AL in Berlin sei ein weiterer Grund zur Sorge. Wenn immer deutlicher von der BRD aus die Politik der Nato in Frage gestellt werde, müsse dies auf Dauer Zweifel am politischen Zusammenhalt der Allianz aufkommen lassen. Eine rot-grüne Koalition in Berlin sei schon etwas anderes als eine rot-grüne Koalition in Hessen, sagte Helms.

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