: Antarktis: „Es bleibt nur wenig Zeit“
Nach dem Öl-Unfall am Südpol droht der antarktische Winter die Rettungsarbeiten zu verhindern / Die taz telefonierte mit Bruno Klausbruckner, der sich zur Zeit auf dem Greenpeace-Schiff „Gondwana“ in der Antarktis befindet ■ I N T E R V I E W
taz: Wo befindet sich jetzt die „Gondwana“?
Bruno Klausbruckner: Wir sind jetzt auf der anderen Seite der Antarktis, 5.500 Kilometer von der Unglücksstelle entfernt. Wir waren auf der italienischen und auf der deutschen Forschungsstation in der Terranova-Bay und sind jetzt auf dem Weg zur Greenpeace-Station in Cape Evans auf Ross-Island, die wir in etwa 17 Stunden erreichen werden.
Woher haben Sie Ihre Informationen zu dem Unfall?
Greenpeace war voriges Jahr selbst auf Palmer-Station auf der antarktischen Peninsula. Deshalb kennen wir das betroffene Gebiet recht gut. Wir wissen, daß unmittelbar vor der Station zwei wissenschaftlich bedeutende Gebiete liegen, auf Anvers-Island und Litchfield-Island. Das sind Vogelbrut -Kolonien, Pinguin-Kolonien, und das ist ein wichtiges Rückzugsgebiet für den Buckelwal. Und wir wissen, daß gerade jetzt die Pinguin-Küken erstmals ins Wasser gehen. Wir haben außerdem vom Schiff aus mit dem Leiter von Palmer-Station über die Situation gesprochen.
Was wissen Sie von den Rettungsaktionen des US -Expertenteams?
Wir haben keine Detail-Informationen, aber wir wissen, daß man wahrscheinlich nicht allzuviel tun kann. Ende Februar, Anfang März beginnt hier der Winter, es wird dann sehr, sehr kalt, das Meer friert wieder zu, und man kann dann in den nächsten acht Monaten überhaupt nichts mehr machen. Es hat jetzt stark geschneit, und die Temperaturen sinken im Februar auf minus 20 Grad und gehen dann im März noch weiter hinunter auf minus 30 Grad. Die Tage werden außerdem sehr viel kürzer, am 22.April werden wir dann zum letzten Mal die Sonne sehen. Die Zeit drängt also. Zwei, drei, maximal vier Wochen kann man überhaupt noch was tun.
Konkret: Was kann denn getan werden?
Wir haben gerade mit den italienischen Wissenschaftlern über einen möglichen Chemikalieneinsatz diskutiert, um das Öl zu binden. Aber die Italiener sind mit uns der Meinung, daß die Chemikalien vielleicht noch mehr anrichten als das Öl selbst. Am besten wäre es, das Öl abzusaugen, aber wir wissen nicht, ob die Ausrüstung der Rettungsmannschaft dazu vorhanden ist und ob die stürmische See das zuläßt.
Wir erhalten hier noch immer wiedersprüchliche Äußerungen. Wie schätzen Sie das Ausmaß dieses Unglücks denn nun ein?
Nach unseren Informationen ist dies die größte Katastrophe, die bisher in der Antarktis passiert ist. Wir müssen befürchten, daß das betroffene Gebiet, das für die langfristige Forschung so wichtig war, schwerstens betroffen ist. Wir haben einen zwölf Meilen großen Ölteppich, und wir müssen uns vor Augen halten, daß das Öl in der Antarktis 50 bis 100 Jahre braucht bis es biologisch abgebaut ist.
Welche Konsequenzen sind aus dem Unfall zu ziehen?
Die Konsequenzen sind klar. Alle weiteren menschlichen Aktivitäten in der Antarktis bis hin zu Rohstoffabbau und Ölbohrungen bedrohen das zerbrechliche Ökosystem und werden eine enorme Zunahme des Schiffsverkehrs bringen. Davon muß man die Finger lassen. Aber auch Tourismus und Forschung müssen in kontrollierte Bahnen gebracht werden. Die Forschungsstationen hier neigen dazu, sich immer mehr aufzublähen. Immer mehr Hütten, immer mehr Personal. Das bedeutet auch vermehrte Schiffstransporte und damit Unfallgefahren. Die Antarktis hat nur zwei Prozent eisfreie Fläche, auf denen sich die Tiere vermehren können. Wenn der Mensch auch noch diese zwei Prozent besetzt für große Stationen, Basen oder Off-Shore-Stationen, dann bleibt den Tieren keine Rückzugsmöglichkeit mehr. Wir haben bereits ein abschreckendes Beispiel. Das ist Dumont D'Urville: Hier sprengen die Franzosen mitten in eine phantastische Pinguin -Kolonie eine Landebahn hinein. Dieser Trend, sich überall rücksichtslos breit zu machen, das ist unsere größte Sorge. Das Unglück der „Bahia Paraiso“ muß für uns alle eine Warnung sein.
Interview: Manfred Kriener
Bruno Klausbruckner ist der neue Leiter der Greenpeace -Station in der Antarktis. Er wird dort die alte Besatzung ablösen und gemeinsam mit drei Kollegen überwintern.
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