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Hassemers Flug nach Canossa

■ Noch-Kultursenator verhandelt insgeheim mit Karajan in Salzburg

Berlin (taz) - Am Freitag wurde es noch geflüstert, gestern gab es die ersten Proteste von SPD und AL. Auch der Vorstand des Philharmonischen Orchesters Berlin formulierte vorsichtshalber ein Veto. Denn: Berlins Kultursenator Hassemer war am Montag nach Salzburg zu Herbert von Karajan gereist, offenbar um einen neuen Vertrag auszuhandeln. Alarmiert sind alle Beteiligten sowohl wegen des Umstandes der Reise als auch wegen der bekanntgewordenen Vertragselemente: Die Reise wurde ausgerechnet gegenüber dem Kulturausschuß als auch gegenüber dem Berliner Orchester geheimgehalten - nicht ohne Grund.

Zur Verhandlung stehen die skandalösen Forderungen von Karajan und die Legalisierung einer insgesamt skandalösen Praxis. Der Chefdirigent auf Lebenszeit hat das Orchester, das immerhin mit 19 Millionen Mark aus Steuermitteln subventioniert wird, praktisch zum „privaten Klangkörper“ ('Spiegel‘) gemacht. Außerdem sind Tourneen, die audiovisuelle Auswertung und das Angebot von Gastdirigenten dem Planen und Meinen der größten Agentur für die E-Musik, der CAMI, unterworfen, an der wiederum Karajan beteiligt ist. Die einzige Schwäche des Geschäftsmannes v.K. ist seine Stellung als Chefdirigent: Er ist eigentlich vertragsbrüchig. Den geforderten 12 Konzerten im Jahr ist er nicht nachgekommen. Er nimmt auch nicht am Probespielen entscheidend für Aufbau und Weiterentwicklung eines Orchesters - teil.

Diese Situation des Vertragsbruchs will das Orchester, wollen Kulturpolitiker der Stadt nutzen, um Karajan als „Ehrendirigenten“ abzuschieben und einen Nachfolger eigener Wahl für den 80jährigen zu finden. Karajan seinerseits will die lästigen Berliner Verpflichtungen loswerden und weiterhin im Geschäft bleiben. Als Chefdirigent und künstlerischer Leiter könnte er einen Nachfolger in seinem und der CAMI Sinne aufoktroyieren.

Was Karajan will, hat er in einem Brief vom 10.1.89 an den Kultursenator Hassemer deutlich gemacht: die Legalisierung des Vertragsbruches. In diesem Brief zählt Karajan seine Krankheiten auf („Schlaganfall, Wirbelsäule, Zirkulationsstörungen und Darmgrippe“), um dann dem Senator lakonisch zu diktieren: „Ich werde ab nächster Saison folgende Tätigkeiten beibehalten - Osterfestspiele Salzburg, Salzburger Festspiele, Int. Musikfestwochen Luzern, Berlin Philharmonie - 6 Konzerte insgesamt.“ Für den Chefdirigenten der Berliner Philharmonie steht Berlin an vierter Stelle. Was er vorschlägt, ist der empörende Zustand der letzten Jahre: nur noch symbolische, gleichwohl aber geschäftliche Präsenz. Daß Hassemer, der ja mit Karajans Machenschaften seine Schwierigkeiten hat, kurz vor Regierungswechsel vollendete Tatsachen schaffen will, macht Sinn. Mit einem solchen Vertrag in der Hand wäre die Übermacht von Karajan und der CAMI gesichert, eine Übermacht, die aus dem Philharmonischen Orchester ein kulturpolitisches Dauerproblem machen würde.

KH

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