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Angenehme Überraschung

■ Dank Perestroika und Glasnost: Die Sowjet-Kapellen Zvuki-Mu und Va-Bank spielten am Montagabend im Rahmen der „Sowjetrock 89-Tour“ im Modernes schrill und kantig

Mal gerade ein Drittel gefüllt war das Modernste, als die erste Combo ihren Auftritt begann. Schuld war vielleicht der irreführende Titel Sowjetrock, mußte der doch befürchten lassen, daß behäbiger Mainstream-Rock a la DDR-Zombies wie Puhdys oder Karat geboten würde. Kein Ton davon. Sowjetpunk wäre da schon angemessener gewesen.

Die Bezüge zur musikalischen Kultur und Entwicklung im Westen sind zwar unüberhörbar, das bedeutete allerdings keineswegs, daß dem Publikum lediglich schlappe Kopien westlicher Klänge auf die Ohren gedrückt wurden. Die eigenständige und eigenwillige Auseinandersetzung mit diesen Einflüssen kam deutlich zutage.

Nicht drei, wie angekündigt, sondern nur zwei Gruppen traten pro Abend auf. Zu Beginn gabs eine kurze Einleitung zur aktuellen Situation der populären Musik in der SU, in der deutlich wurde, daß auch in diesem Bereich die Perestroika vieles verändert, geöffnet hat. Nach der langen Phase der Unterdrückung besonders avantgardistischer Rockmusik sind heute neue Möglichkeiten für die sowjetischen MusikerInnen entstanden.

Kurioser Nebeneffekt dieser neuen Situation ist, daß die Tour von drei Unternehmen gesponsert wird, die „westlichen“ Gruppen derselben musikalischen Couleur wohl kaum eine solche Unterstützung zukommen lassen würden. Die Wege der Revolution sind eben oft verschlungen.

Die Moskauer Gruppe Zvuki-Mu spielt ihre originelle Mischung aus Art-Rock und Punk seit 1984 schrill und kantig (Honeymoonkillers meet Dead Kennedys). Im Mittelpunkt des Bühnengeschehens steht Sänger und Bandgründer Pjotr Mamonov, der mit seinen scheinbar epileptischen Bewegungen eine eigenwillige Präsenz erreicht. Seine Baßstimme sorgt ab und an für Düsterrock-Elemente in der ansonsten eher nervösen und schrillen Musik. Keyboarder Pablo Meenges entlockt seinem Instument Klänge, deren sphärische oder schon mal süßlich-sülzende Passagen immer wieder von schrillen Clustern, zirpenden Übersteuerungen durchbrochen werden. Der 19jährige Drummer Alexej Pavlov spielt ein differenziertes Schlagzeug mit der Grundtendenz zu abrupt-monotonen mit Schlegeln angeschlagenen Rhythmen. Gitarrist Alexej Bortnitschuk unterlegt den meist kurzen und schnellen Stücken der Gruppe rasende, punkige Läufe, flicht überraschende Ausflüge ein, in denen er seine Gitarre heulen und kreischen läßt. Das Publikum im Modernen entließ die Zvuki-Mu nach einer Stunde nur ungern von der Bühne.

Die vierköpfige Gruppe Va-Bank (Alexander Skljar-g'voc; Igor Nikonov-g'voc; Alexander Malikov-dr; Alexej Nikitin-b) bewegte sich in etwas konventionelleren Bahnen. Sie spielen einen harten, schnellen Punk mit Rockelementen und meist mehrstimmigem Gesang. Trotz des

Stakkato-Rhythmus fehlte es der Musik manchmal an Dichte, liefen die musikalischen Linien auseinander. Aber auch ihr Punkrock enthält Elemente, die über das Gewohnte hinausgehen.

Für beide Gruppen gilt allerdings, daß, in Anbetracht der betonten Bedeutung der Texte, der Eindruck unvollständig bleiben mußte, da sich die Verbindung von Musik und Text nicht erschließt, sich nur erahnen läßt.

Der vielversprechende Auftritt läßt wünschen, daß uns in nächster Zeit weitere Formationen der aktuellen sowjetischen Musikszene geboten werden. Wie heißt es doch in letzter Zeit des öfteren: Der Osten funkt wieder! Aber wie!

Arnaud

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