Jonas Savimbis Unita auf der Flucht nach vorn

Eine „Generaloffensive“ soll Angolas Regierung zu Verhandlungen zwingen / Auch die Regierung weiß: „Es gibt keine militärische Lösung“ / Der Unita zerrinnt die Zeit unter den Händen: Die Generalamnestie der Regierung zeigt Wirkung  ■  Aus Cuito Knut Pedersen

In Angola beginnt heute die „Generaloffensive“ der von Südafrika fallengelassenen, aber von den USA weiterhin unterstützten „Union für die vollständige Befreiung Angolas“ (Unita). Sechs Wochen nach dem Abschluß der „Viererverhandlungen“ über die friedliche Zukunft Südwestafrikas bläst die Unita zum Gegenangriff. Eine Flucht nach vorn?

Das Ende einer Bahnlinie

Grünes Gras steht kniehoch zwischen den massiven Rädern der alten Dampflokomotive, ein schwarzes Monster mit gußeisernem Schienenpflug und rotem Schornstein. „Natürlich funktioniert die Lokomotive noch“, protestiert mit nostalgischem Mechanikerstolz Juan Miguel, der Chef der Reparaturwerkstatt in Cunje. An den großen Umschlagbahnhof nahe Cuito erinnern heute freilich nur mehr Ruinen: Die Unita-Rebellen haben das Gebäude im vergangenen April in die Luft gejagt. „Früher fuhren hier täglich 15 bis 20 Züge“, erzählt Juan Miguel. „Ganz vorne, hinter der Lokomotive, waren Luxuswagen für Passagiere angekoppelt, und dahinter kamen die endlosen Waggons für Kupfer, Kobalt, Eisenerz und Vanadium. Alles, was in Sambia, in Zaire und selbst im damaligen Rhodesien an Reichtümern unter der Erde lag, ist über diese Schienen gerollt.“

Die gute alte Zeit ist nur mehr Erinnerung, seitdem die 1.300 Kilometer lange Eisenbahnlinie zwischen der angolanischen Hafenstadt Benguela und dem sambischen Kupfergürtel zur Geisterbahn geworden ist. Seit sieben Jahren ist kein Zug mehr ins Landesinnere gefahren. Und seit einem Jahr ist auch der Küstenverkehr zu unsicher geworden. Die Rebellen greifen die Züge an oder bringen sie zum Entgleisen. Die meisten Bahnhöfe und Brücken sind längst gesprengt.

Ein end- und ruhmloser Krieg

Seit 25 Jahren wird im Herzen Angolas ein ruhmloser Krieg geführt. Zuerst ein nationaler Befreiungskrieg gegen die portugiesische Kolonialarmee, die nach der „Nelkenrevolution“ ebenso überstürzt wie unbesiegt das Feld räumte. In das so geschaffene Machtvakuum einer hohlen „Unabhängigkeit“ stießen fremde Interessen: Außer den Nachbarstaaten Zaire und Kongo mischten sich China, Kuba, die USA und Südafrika ein. Seit dreizehn Jahren halten die einen das „marxistische“ Regime Luandas aufrecht, während die anderen den „antikommunistischen Freiheitskämpfer“ Jonas Savimbi unterstützen.

Cuito liegt mitten im Stammland der Ovimbundu, zu denen Jonas Savimbi und die meisten seiner Gefolgsleute zählen. Für den alten Bahnhofsvorsteher Avelino Calepete ist es ein erschwerender Tatumstand. „Jonas Savimbi weiß besser als jeder andere, was er mit seiner Sabotage anrichtet. Er ist hundert Kilometer von hier an der Bahnstrecke geboren“, sagt er und deutet gen Osten. Calepete versteht nicht, wie der Sohn eines Bahnarbeiters, der sich zum ersten schwarzen Bahnhofsvorsteher hochgearbeitet hatte, heute das Lebenswerk seines Vaters zerstören kann. Der weißhaarige Bahnhofsvorsteher hat wenig Hoffnung, daß dem gegenwärtigen Gerede um eine Rehabilitierung des Schienenstrangs noch zu seinen Lebzeiten Taten folgen werden.

In Angolas Hauptstadt Luanda war man vergangene Woche sehr viel optimistischer. Die Wirtschaftsgemeinschaft der Frontlinienstaaten hat einmal mehr die strategische Bedeutung der Bahnlinie unterstrichen und dankend zur Kenntnis genommen, daß die EG bereits 90 Millionen Dollar für Vorstudien zur Wiedereröffnung bereitgestellt hat. „Das ist nur politischer Budenzauber“, gab allerdings ein europäischer Botschafter zu. Die angolanische Regierung setzt ihre Handelspartner mit einem Verweis auf Mosambik unter Zugzwang. „Wenn die EG dort Geld in die Beira -Bahnlinie investiert und sie sogar militärisch gegen die Renamo-Rebellen zu schützen verspricht, warum dann nicht auch bei uns?“, argumentiert seit Monaten Angolas Verkehrsminister Fernandez. „Weil die Unita keine Banditenarmee ist und ohne nationale Aussöhnung die Benguela -Bahn niemals sicher sein wird“, kommentiert der Diplomat, der „das natürlich nicht laut sagen kann“.

Wie stehen die Chancen für „nationale Aussöhnung“ nach dem regionalen Friedensabkommen vom 22.Dezember? „Es gibt keine militärische Lösung für den internen Konflikt. Wir müssen politische Mechanismen finden, um zu einer friedlichen Lösung zu kommen“, erklärt in Luanda der Stabschef der Regierungsarmee, General dos Santos Franca. Das neue Amnestiegesetz, das am vergangenen Samstag offiziell in Kraft trat, sei „ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung“. Es bietet allen „subversiven“ Gegnern des Regimes vollständige Straffreiheit, sofern sie bereit sind, künftig die verfassungsrechtliche Legalität des Landes anzuerkennen. Die Unita-Rebellen haben darauf zuerst mit einem Waffenstillstandsangebot und dann mit einer Kriegserklärung geantwortet: Heute soll ihre entscheidende „Generaloffensive“ beginnen. Hofft Jonas Savimbi, Angola während des kubanischen Truppenabzugs in ein zweites Afghanistan zu verwandeln?

Der „Bush„-Krieg geht weiter

Die sowjetische Antonov-Maschine, die sich in engen Spiralen in die Höhe schraubt, wirft ein gutes Dutzend rauchender „Hitzeköder“ ab, um Stinger- und andere Luftabwehrraketen in die Irre zu führen - die Szene, die an die afghanische Hauptstadt Kabul erinnert, spielt sich in Huambo ab, im Herzen Angolas. Am 20.Dezember hat die Unita hier verschiedene Industrieanlagen in Schutt und Asche gelegt. Trotz ethnischer Bindungen nehmen die Rebellen keinerlei Rücksicht auf die Zivilbevölkerung, im Gegenteil: Nachdem sie die städtischen Vorratshallen in Brand gesteckt hatten, ließen sie Minen zurück. Von den herbeigeeilten Einwohnern, die ein paar Säcke Mais oder wenigstens einen Kanister Pflanzenöl retten wollten, wurden zwei Dutzend für den Rest ihres Lebens zu Krüppeln.

In Angola hat Guerilla schon lange nichts mehr mit Widerstandskämpfern zu tun, die wie „Fische im Wasser“ inmitten der Bevölkerung leben. „In den beiden ersten Januarwochen sind hier elf Zivilisten und 16 Soldaten aufgenommen worden“, rechnet Dr.Salongue von der orthopädischen Klinik in Cuito vor. „Seit der Einrichtung dieser Pflegestation im Juni 1986 sind insgesamt 912 Minenopfer behandelt worden, im Durchschnitt etwa dreißig pro Monat. Wir wissen nicht einmal, wieviele im Busch verbluten, nachdem sie auf eine Mine getreten sind.“

Sabotage, Terror und südafrikanische Waffenhilfe haben in den vergangenen Jahren den Buschkrieg der Unita-Rebellen um jede Glaubwürdigkeit gebracht. „Strategisch kämpft Savimbi jetzt auf verlorenem Posten“, meint der stellvertretende Provinzkommissar Domingues. „Selbst wenn Südafrika ihn weiterhin heimlich unterstützt - das wird bald ein Ende haben: Im April übernehmen die Vereinten Nationen die Kontrolle in Namibia, und im Sommer müssen die südafrikanischen Truppen von dort abgezogen sein.“ Ihr Rückzug hat bereits begonnen. Und vom 1.500 Kilometer entfernten Südafrika wird es schwierig werden, die Unita wie in der Vergangenheit logistisch auszuhalten. „Vom Treibstoff über Lebensmittelkonserven bis zum Mineralwasser kommt buchstäblich alles in Jambe aus Südafrika“, erzählt ein Journalist, der wiederholt in Savimbis Hauptquartier nahe der namibischen Grenze gereist ist. Seit Ende Dezember darf kein Journalist mehr von Südafrika aus nach Jambe fliegen...

Der Guerilla-Krieg geht gleichwohl als „Bush„-Krieg weiter. Noch vor seinem formellen Amtsantritt hat der neue US -Präsident Savimbi in einem persönlichen Schreiben die „unverminderte Fortsetzung unserer Unterstützung“ zugesichert. Obgleich die amerikanischen Waffenlieferungen aus dem benachbarten Zaire nur rund ein Siebtel der südafrikanischen Hilfe darstellen, ist das amerikanische Engagement ein politischer Fels, auf den Savimbi zu bauen hofft. Nach seinen Angaben hat die Unita „genügend Waffen gehortet, um zwei Jahre weiterkämpfen zu können“. Seit Wochen schon schwärmen die Guerillatruppen aus dem Südosten in die sumpfigen Waldlandschaften des Nordens entlang der zairischen Grenze, in den spärlich bevölkerten Süden und ins Benguela-Gebirge im Südwesten aus. „Wenn sie überall gleichzeitig zuschlagen, bleibt uns nichts anderes übrig, als zu versuchen, den Schaden in Grenzen zu halten“, gibt ein angolanischer Offizier zu. „Es gehört so verdammt wenig dazu, ein Land wirtschaftlich lahmzulegen.“

„Neger gegen Neger? Uninteressant!“

Die „Generaloffensive“ der Unita hat wenig Aussicht, in einem Triumphmarsch auf die Hauptstadt Luanda zu enden. Sie will statt dessen die Regierung an den Verhandlungstisch zwingen. Im übrigen weiß der „Freiheitskämpfer“ Savimbi, daß die amerikanische Öffentlichkeit ihn vergessen wird, sobald der kubanische Truppenabzug aus Angola beendet ist - nach dem unterzeichneten Abkommen spätestens im Juli 1991. „Nach dem Abzug der Kubaner schlagen sich hier Neger gegen Neger weltpolitisch interessiert das niemanden“, meint zynisch ein westlicher Diplomat.

Jonas Savimbi ist sich dessen bewußt. Er tritt nunmehr seine militärische Flucht nach vorne an, um die USA in einen Konflikt zu ziehen, aus dem sie sich mühsam herausverhandeln wollten. Aber auch aus anderen, internen Gründen bleibt dem Unita-Führer keine Wahl: Seit vergangenem Dezember spüren seine Guerilleros am eigenen Leib, daß jetzt „friedliche Koexistenz“ herrscht. Und nun spricht sich in ihren Reihen herum, daß die Regierung in Luanda Straffreiheit für alle „Kriegsverbrechen“ anbietet. Generaloffensive gegen Generalamnestie? Nach dreizehn Jahren Bürgerkrieg geht die Frage an die Moral der Kämpfer. Bereits Anfang Januar haben in der Benguela-Provinz heimkehrende Dorfbewohner nach Angriffen der Unita mit Überraschung neue Slogans entdeckt: „Frieden“ und „nationale Aussöhnung“ stand auf ihren Hütten.