: Im siebten blockfreien Pophimmel
■ Sowjet-Rock, Band 2: Wechselbad aus Beinfrei-Schlagermusik mit Gogo-Girls und genialem Glam-Glitter-Jazz-Punk-Theater aus Leningrad im Modernes: Katja Surzhikova und Auktion
Da steht er. Ein langes, irgendwie gekrümmtes Etwas mit den spiddeligsten X-Beinchen wo gibt. Es hüpft und kreischt und schaut aus schwarz ummalten Stauneaugen: eine Mischung aus David Bowie, Holger Hiller und Karl Valentin. Dazu ein Jackett voll barocker Klunker, Broschen, Nadeln, Glitzersteinchen und Gold. Backstage macht Oleg Garkuschka fröhlich „Huuuuuhuuuu“ zur Begrüßung westlicher JournalistInnen. Auf der Bühne macht er alles mögliche. Das machen alle von Auktion so: der Basssist mit dem 2x23 -Hemd, der Tänzer mit
dem steten Drang, sich seiner eh schon alle Einblicke gewährenden Kostüme zu entledigen, der Saxophonist mit der verkehrtrum aufgesetzten Proletarier-Kappe und der phlegmatischen Erstauntheit des Charlie Brown. Eine Mischung aus Jazz, New Wave, Punk, russischen Volksweisen, Modernem Tanz und Theater. Eine Spaßvögel-Kunstband wie Palais Schaumburg oder Pig Bag oder Der Moderne Mann. Neues aus Leningrad.
Dabei hatte der Abend gar scheußlich seinen Anfang genommen. Im „Modernes“ eine höf
liche Handvoll interessierter junger Menschen, die sich die erste halbe Stunde vorsichtig an den Tresen und stets mindesten 5 Meter von der Bühnenkante entfernt hielten. Oben auf der Bühne vier einigermaßen dämlich ausschauende, aber handwerklich ganz prima Instrumentenbediener mit Minipli, Stirn-, Armbinden oder Westernstiefeln. Lauter Ikonen also aus dem stumpfen Zeichen-Reservoire der Schwermetallenen. Das war die Begleitband. Dazu gab es obendrauf zwei waschdoofe Gogo-Girls mit Denver-Dallas -Blondmähne, ganz wenig Kostüm (das wurde dafür ganz viel gewechselt), reichlich Bein in fleischfarbenen Strumpfhosen und einer „Choreographie“ (?!) irgendwo zwischen Peepshow, Musikladen und holländischer Disco-Miezen-Band der 70er.
Katja Surzhikova tappt dazwischen mit Stöckeln, Bodystockings, Schaumstoffherzen, Paillettenschleifchen oder Tüllröckchen durch sämtliche zur Vefügung stehenden Klischees des dummen Weibchens, eine Mischung aus Provinz -Tina Turner (Rockröhren-Toll-Stimme), Kate Bush und Audrey Landers. Ich finde nicht, daß man im Rahmen von Glasnost und Perestroika alle Kapitalismus-Blödheiten nachmachen muß. Und ich finde auch nicht, daß zugeschminkte Rockschnepfen beklatscht gehören, bloß weil es sich um ein realsozialistisches Exemplar handelt.
In den blockfreien Pophimmel gelobt gehören dagegen die vier, fünf, sechs, acht „Auktion„-Schrill-Kasper vom Leningrader Rock-Club. Das „Modernes“ wirkte gleich viel voller, fröhliche Popkonsumenten ganz dicht an der Bühne, wo Camp und Glamrock und Glitter-Punk und fröhlicher Hippie-Buddhismus, also alle Westwelt-Bewegungen, die irgendetwas mit Sex, Spaß, Protest und freier Liebe zu tun hatten, so souverän vereinnahmt werden, daß man ganz gerührt ist von soviel kommunistischer Avantegarde.
Sie verabschieden sich nach der dritten klatsch-klatsch -juchz-kieks Zugabe wie beim Theater: ein allgemeines an den Händen halten und Verbeugen und Abschiedswinken wie die Kürläufer beim Eistanz. Da sind die Russen auch gut drin.
Petra Höfer
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