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Schlägt die Stunde des Alternativ-Mekkas?

■ Die Möglichkeit einer rot-grünen Koalition weckt in der Selbstverwaltungsszene neue Begehrlichkeiten und alte Hoffnungen / Keine Euphorie, aber Zuversicht für Aufbruch aus der Lethargie / Alte Forderungen sollen auf Machbarkeit abgeklopft werden

Ohne Zweifel, im Alternativsektor Berlins, der gegen Ende der achtziger Jahre zunehmend in eine Krise geraten war, ist angesichts rot-grüner Perspektiven plötzlich wieder Aufbruchstimmung spürbar. Fragt man bei den sogenannten Fachorganen des fast schon verloren geglaubten Alternativmekkas nach, bei Stattwerken etwa, beim AK Staatsknete oder bei Goldrausch, so ist die Euphorie zwar nicht ganz so überschwenglich wie zu Gründerzeiten vor zehn Jahren.

Doch daß beträchtliche Hoffnungen, einschließlich solcher auf ganz eigennützige finanzielle Verbesserungen aufkeimen, ist unübersehbar. „Plötzlich herrscht wieder einige Unruhe und Bewegung“, beschreibt Christa Nesemann, Beirätin des Frauennetzwerks „Goldrausch“, die gegenwärtige Atmosphäre, „da werden nun wieder alte Forderungen rausgekramt und auf ihre Machbarkeit hin abgeklopft.“ Die Lethargie, in die man während des CDU-FDP-Senats verfallen sei, habe einer neuen Dynamik Platz gemacht. Vor allem bestehe jetzt die Chance, daß die Alternativprojekte und Betriebe in die Offensive gehen und gemeinsame Forderungen stellen könnten.

Ansprechpartner ist erwartungsgemäß die AL, und ihre Basis aus der Selbstverwaltungsszene will bei der Wahrung und Förderung ihrer Interessen künftig stärker mitreden. Die Stattwerke haben bereits erste Kontakte zur grünen Partei aufgenommen. „Wir wollen uns einmischen und Denkanstöße geben“, so Manfred Gutzner von Stattwerke. Zwar wolle man keine „alternative IHK“ werden, aber in Sachen Selbstverwaltung und neuer Strategien zur Arbeitsplatzbeschaffung, da müsse der AL doch auf die Sprünge geholfen werden. Wie in den meisten anderen Projekten ist man sich aber über die neue Situation noch nicht ganz im klaren. „Wir sind noch im Klärungsprozeß“, so Gutzner. Ähnlich sieht es auch bei Netzwerk aus. Beirätin Claudia von Braunmühl: „Der Koalitionsrausch hat Netzwerk nicht ergriffen, zur neuen Lage ist bislang kaum Bezug hergestellt worden.“

Mit ganz konkreten Forderungen sieht dagegen Ricarda Buch vom AK Staatsknete der neuen Situation entgegen. Der AK will den Finkschen Selbsthilfetopf (7,5 Millionen) wieder auf das Ursprungsniveau von 50 Millionen Mark bringen. „Unsere Stunde hat geschlagen“, so Ricarda Buch unumwunden. Da sie nebenbei auch für die Ökobank aktiv ist, erhofft sie sich von einer neuen politischen Lage natürlich auch Chancen, in Berlin eine Filiale der Frankfurter Ökobank eröffnen zu können.

Ob die Selbstverwaltungs- und Selbsthilfeszene tatsächlich ausreichend politischen Druck erzeugen kann, um ihre Forderungen durchzusetzen, da ist Marlene Kück von der Haftungsassoziation (HA) eher skeptisch. „Dieser Sektor ist nicht unbedingt am Wachsen.“ Einige Vorschläge hat sie trotzdem zu machen: Parallel zur öffentlichen Förderung sollte es Eigenkapital-Hilfeprogramme für selbstverwaltete Betriebe und ein Kreditsicherungsprogramm, „möglichst mit Beteiligung der HA“, wie sie anfügt, geben. Kommenden Montag wollen die alternativen Fachorgane erstmals gemeinsam über rot-grüne Perspektiven debattieren.

bim

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