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Fluchtpunkt Hollywood

■ Eine kleine Reihe anti-nationalsozialistischer Filme startet mit „Kinder, Mütter und ein General“, ZDF, 22.15 Uhr

„Immer fand ich den Namen falsch, den man uns gab: Emigranten. Das heißt doch Auswanderer. Aber wir wanderten doch nicht aus, nach freiem Entschluß wählend ein andres Land. (...) Sondern wir flohen. Vertriebene sind wir, Verbannte,“ schrieb Bertolt Brecht, einer von über einer halben Million Deutscher oder Österreicher, die nach 1933 ihr Land verlassen mußten oder sich gerade noch in letzter Minute durch Flucht vor den Nazis retten konnten. Von der großen Mehrheit verlor sich die Spur. Wie immer prägten sich fast ausschließlich jene in das Gedächtnis der Welt ein, die an die Öffentlichkeit gehen konnten: Künstler, Intellektuelle. Etwa eintausend von denen, die nach Amerika gingen, fanden im Filmgeschäft Arbeit. Fluchtpunkt Hollywood. Einigen konnte durch Kollegen geholfen werden, die bereits seit Jahren dort Fuß gefaßt hatten, wie etwa durch Ernst Lubitsch oder Marlene Dietrich, andere erkämpften sich den Weg nach oben, manche blieben aber auch auf der Strecke, wenn sie den vielfältigen Umstellungen und vor allem der Sprachbarriere nicht gewachsen waren. Ein bekanntes und besonders trauriges Beispiel ist das Schicksal von Max Reinhardt, dessen Projekte fast alle scheiterten und der noch vor seinem Tod in Amerika in Vergessenheit geriet.

Daß sie in Hollywood vornehmlich Nazi-Schurken spielen mußten, derentwegen sie aus ihrer Heimat hatten fliehen müssen, gehört wohl zur bittersten Ironie ihrer Emigration. Denn das Genre der Anti-Nazi-Filme wurde zu ihrem Hauptbeschäftigungsfeld. Acht Jahre, von 1939 bis 1947, von Beginn des Zweiten Weltkrieges bis zum Beginn des kalten Krieges, trug diese Welle der Propagandafilme gegen den Nationalsozialismus. An 180 Filmen waren die deutschsprachigen Emigranten überproportional beteiligt: Sie führten Regie, schrieben die Drehbücher oder spielten eine Haupt- oder eine tragende Nebenrolle.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zögerten viele, nach bad old Germany zurückzukehren. Die Alliierten hatten den Nationalsozialismus besiegt, das Volk war aber noch immer das gleiche. Und so gestaltete sich die Heimkehr der Remigranten als äußerst problematisch: Nachdem Peter Lorre 1951 Der Verlorene gedreht hatte, reagierten Presse und Publikum negativ. Deprimiert kehrte er nach Hollywood zurück, wo er 1964 vereinsamt starb. Auch Erich Pommer Produzent von Der blaue Engel und Das Cabinet des Dr.Caligari - kehrte nach einigen Mißerfolgen 1956 nach Hollywood zurück.

Gänzlich unproblematisch dagegen verlief die Remigration in der sowjetischen Besatzungszone, wo die antifaschistischen Kämpfer für den Aufbau einer neuen Kultur integriert werden konnten, so beispielsweise Bertholt Brecht und Curt Bois.

Das ZDF präsentiert vier amerikanische und zwei bundesrepublikanische Produktionen, die allesamt eine klare anti-nationalsozialistische Position beziehen. Keiner von ihnen hätte ohne die Mitwirkung emigrierter Filmemacher, Schauspieler, Regisseure, Autoren, Komponisten und Techniker entstehen können, die ihre Erfahrung in die Arbeit mit einbrachten. Das Hollywood- Kino der 40er Jahre ist vertreten mit Jagd im Nebel (1945), Agenten der Nacht (1942), Die Spur eines Fremden (1946) und Casablanca (1942). Das deutsche Kino mit Der Verlorene (1951) und Kinder, Mütter und ein General (1954), ein Film, der den Auftakt der kleinen Reihe im ZDF bildet. Die Regie führte der Exilungar Laszlo Benedek, nach einem Buch von Herbert Reinecker, welcher dem Fernsehpublikum sonst vor allem als erfolgreicher Krimiautor bekannt ist.

Die Zeit: 1945. Der Ort: die Gegend um Stettin. Die Front kommt immer näher an die Stadt, und einige Frauen suchen ihre Söhne, die mit einer Schule evakuiert worden sind. Der Lehrer eröffnet den wartenden Müttern, daß mehrere Schüler in der vergangenen Nacht aufgebrochen sind, um an der Front mitzukämpfen. Die Frauen machen sich zum Divisionsgefechtsstand auf und verlangen von einem General (Ewald Balser) ihre Kinder zurück. Aber die Verbindung zu dem Bataillon, bei dem die Jungen kämpfen, ist abgebrochen. Die Suche geht weiter, und als die Frauen endlich, in der vordersten Linie der Front, auf ihre Söhne treffen, wollen diese ihre Kameraden nicht verlassen. Frau Asmussen (Hilde Krahl) und Frau Bergmann (Therese Giehse) appellieren an Hauptmann Dornberg (Berhard Wicki), die Kinder aus dem Kampf zu nehmen.

Erich Pommer, der Produzent, verlangte zwei Filmschlüsse: bei dem versöhnlicheren gehen die Jungen mit ihren Müttern nach Hause. Die andere, realistischere Variante war die, daß die Mütter alleine zurückbleiben. Gegen den ausdrücklichen Willen von Autor und Regisseur wurde das tröstlichere Ende verwendet. Dem Kinopublikum konnte man so viel Authentizität noch nicht zumuten. Trotz der Rücksichtnahme erwies sich der Film als noch immer zu direkt: er wurde ein Mißerfolg. Niemand wollte sich das ansehen, was man sonst in allen Lebensbereichen zu verdrängen suchte. Auch die hervorragende Besetzung (in weiteren Rollen sind Claus Biederstaedt, Rudolf Fernau, Klaus Kinski, Maximilian Schell und Dieter Straub zu sehen) konnte die Angst vor der Konfrontation mit der Vergangenheit nicht wettmachen. Heute, nach 35 Jahren, läßt sich das alles natürlich mit einer anderen Distanz betrachten. Ob der Film dennoch auch jetzt noch betroffen machen kann und ein Stück unbequemer Zeitgeschichte zu zeigen imstande ist, darüber kann man sich heute abend ein Bild machen.

Petra Kohse

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