: Verspielt das Militär in El Salvador die Friedenschance?
Die Generäle haben gesprochen. Obwohl die politischen Parteien El Salvadors erst nächste Woche ihre endgültige Position zum jüngsten Friedensvorschlag der FMLN-Guerilla abgeben wollen, dürfte mit dem Auftritt der Militärs am Dienstag dieser Woche die Entscheidung über Krieg oder Frieden gefallen sein.
Das sensationelle Angebot der Rebellen vom 24. Januar, die Wahlen in El Salvador zu unterstützen, falls der für den 19. März angesetzte Urnengang um ein halbes Jahr verschoben werde, ist für Freunde wie Feinde der FMLN seit Wochen Gesprächsthema Nummer eins. Doch die Armeeführung hatte dazu bis Dienstag keinen Kommentar abgegeben. Dann aber erschien schließlich Verteidigungsminister Carlos Eugenio Vides Casanova in Begleitung des Generalstabs im Hotel Presidente, wo gerade die Politiker aller Parteien an einem Gegenvorschlag feilten.
Vides Casanova bezeichnete das Angebot des Erzfeindes als „wenig ernsthaft“, weil es Teil der Strategie der Aufständischen sei, „eine Insurrektion zu provozieren und die Armee zu spalten“. Die Streitkräfte würden aber, so nun die Formulierung des Verteidigungsministers, einen Gegenvorschlag der Politiker unterstützen, wenn dieser den Rahmen der Verfassung nicht sprenge. Die Auflage der Rebellen, daß die Armee ihre Repression gegen die Volksorganisationen einstellen und sich am Wahltag in die Kasernen zurückziehen soll, kommentierte Vides Casanova mit keinem Wort.
„Ohne Teilnahme der Armee ist die Umsetzung des Angebotes unmöglich, da die wahre Macht bei den Streitkräften liegt“, urteilt die FMLN-Kommandantur in einem Kommunique, das kurz vor der Erklärung des Generalstabs veröffentlicht worden war. In der Erklärung bieten die Comandantes eine zweimonatige Waffenruhe während des Wahlprozesses an. Ursprünglich hatten sie vorgeschlagen, nur jeweils einen Tag vor und nach dem Urnengang, bei dem sie gegebenenfalls das Linksbündnis „Convergencia Democratica“ (CD) unterstützen würden, auf Offensivaktionen verzichten zu wollen.
Daß die Rechnung nicht ohne Einbeziehung der Armee gemacht werden kann, wissen auch die Politiker. Daher liegt der Verdacht nahe, daß Fidel Chavez Mena und Alfredo Cristiani, die beiden Spitzenkandidaten der regierenden Christdemokraten und der rechtsextremen ARENA, eher die Wählerstimmen im Auge haben, als tatsächlich auf die Vorschläge der FMLN eingehen zu wollen.
Hatte Präsident Duarte den Vorschlag zunächst als verfassungswidrig rundweg abgelehnt, so rückte sein Kronprinz Fidel Chavez vor einigen Tagen mit einem Dokument heraus, in dem er de facto eine Verschiebung der Wahlen akzeptiert. Hätte er doch große Schwierigkeiten, bis zum 19. März den Vorsprung, der ARENA in allen Meinungsumfragen bescheinigt wird, aufzuholen. Man müsse ernsthaft einen Konsens suchen, heißt es in dem Papier mit dem Titel Im Frieden leben, um besser zu leben, der die Eingliederung der Aufständischen in den Wahlprozeß und die Bestimmung eines geeigneteren Wahltermins ermögliche. Sollte die Verschiebung des Urnenganges jedoch nicht möglich sein, will der Christdemokrat am 19. März den Sieg davontragen, um anschließend Gespräche aufzunehmen, die zu einem Friedensabkommen führen sollen. Dieses soll dann am 15. September - dem von der FMLN vorgeschlagenen Wahltermin einer Volksabstimmung unterworfen werden.
Auch die Ultrarechte, die anfangs hinter der Erklärung der Guerilla nur eine Falle sehen wollte, lenkte plötzlich ein, und Exmajor Roberto d'Aubuisson, führendes Mitglied der ARENA und Organisator von Todesschwadronen, wollte sogar eine 72stündige Amnestie offerieren. In dieser Zeit sollten die FMLN-Kommandanten ihre Vorstellungen vor dem Parlament präzisieren können.
Verschiedene Abgeordnete ließen durchblicken, daß sich mit einigem guten Willen die verfassungsmäßigen Hindernisse umschiffen lassen müßten. Um eine Wahlverschiebung zu ermöglichen, brauchten lediglich die Präsidentschaftsbewerber ihre Kandidatur bis auf weiteres zurückzuziehen.
Auch Arturo Rivera y Damas, Erzbischof von San Salvador, sieht im Verweis auf die Verfassung nur einen Vorwand. Die Rechtsordnung sei zwar wichtig, erklärte er in seiner jüngsten Sonntagspredigt, „doch mindestens ebenso wichtig ist die Erlangung des Friedens, ohne den ein geordnetes Zusammenleben, das die Gesetze schützen wollen, unmöglich wird“.
Organisationen, die den Wahlprozeß bisher abgelehnt haben, sind jetzt bereit, die Spielregeln zu akzeptieren, wenn die Bedingungen der FMLN akzeptiert werden. In diesem Sinne hat sich kürzlich Marco Tulio Lima geäußert, einer der Führer des linken Gewerkschaftsdachverbandes UNTS. Die Vertreter der Gewerkschaften und Kooperativenverbände sympathisieren zwar offen mit der Plattform der Convergencia Democratica deren Parteien mit der FMLN verbündet sind, wollten aber bisher keine Wahlempfehlung abgeben. Auch Mario Aguinada, der erst vor wenigen Monaten ins Land zurückgekehrte Chef der kommunistischen UDN, würde unter den geänderten Bedingungen seine Basis für die Kandidaten der CD mobilisieren.
Mittlerweile versucht die FMLN, durch weitere Beweise ihrer Flexibilität ein günstiges Klima für den Friedensprozeß zu schaffen. Sie hat wissen lassen, daß die US-Botschaft und deren Personal nicht länger als militärische Ziele betrachtet werden. Ausgenommen sind lediglich die amerianischen Militärberater. Und für das Gipfeltreffen der zentralamerikanischen Präsidenten, das am 13. und 14. Februar in San Salvador stattfinden soll, haben die Rebellen eine einseitige Waffenruhe zugesagt.
Die FMLN-Kommandanten betrachten ihr Angebot, sich am politischen Kräftemessen zu beteiligen, als letzte Chance für eine friedliche Konfliktbeilegung. Jede Regierung, die am 19. März aus den Wahlen hervorgehen wird, ohne daß es vorher zu einer politischen Einigung kommt, wird nur ein Chaos verwalten können: Keine Militärbasis ist heute vor Attacken der Guerilla sicher, und die Zivilverwaltung auf dem Land steht vor dem Zusammenbruch. Über 90 der insgesamt 262 Bürgermeister in ganz El Salvador sind bisher nach Drohungen der FMLN zurückgetreten, darunter die der Provinzhauptstädte Cojutepeque und Usulutan.
Ralf Leonhard, Managua
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