: Adressen: Tote und Doubletten
■ Gerichtsprozeß gab Einblick in den florierenden Handel mit Adressen: AnwältInnen zum Stückpreis von 8 Pfennig, LehrerInnen kosten 12 Pf, JournalistInnen bloß 5,5
Wieviel ist die Adresse einer RechtsanwältIn in einem einschlägigen Katalog wert? Ganze 8 Pfennig. Und zu welchem Stückpreis werden LehrerInnen versandgehandelt? Hier muß die KundIn schon 12 Pfennig investieren. JournalistInnen nehmen sich dagegen beschämend wertlos aus, für 5,5 Pfennig pro Stück ist ihre Adresse zu bekommen. Diese abgestuften Pfennigbeträge sind einer Hochglanzbro
schüre der Firma „Merkur“ entnommen, ihres Zeichens eine Tochter des Bertelsmann-Konzerns, dem größten privaten Adreß -Leaser in der Bundesrepublik. „Bei 'Merkur‘ können Sie alles kaufen“, klärte gestern im Amtsgericht ein Zeuge das Gericht auf. Er war es auch, der die „Merkur„ -Hochglanzbroschüre eigens mitgebracht hatte, um den Herren von der Justiz einen professionellen Einblick in den Handel mit Adressen zu ermöglichen. Tiefere Einsichten verwehrten jedoch sowohl die ZeugInnen als auch der Mann auf der Anklagebank, da sie sich beruflich weniger aus Bertelsman -Katalogen als auf einem grauen bis schwarzen Adreßmarkt bedienen.
Alle Beteiligten kamen aus der Kaffeefahrten-Branche und sind schon von daher weniger daran interessiert, sich bei 'Merkur‘
80.000 Rechtsanwälte zum Katalogpreis von 8 Pfennig zu besorgen, als günstig an eine kaffeefahr-bereite Spezial -Klientel heranzukommen. Dem Angeklagten wurde denn auch vorgeworfen, sich illegal 50.000 Adressen aus dem Bestand einer Kaffee-Fahrten-Firma besorgt und an einen Konkurrenz -Veranstalter weiterverkauft zu haben. Doch konnte dem Angeklagten nicht schlüssig nachgewiesen werden, daß er sich selbst durch nächtliches Anzapfen der EDV-Anlage in den Besitz der Adreßlisten gebracht hatte. Er beharrte erfolgreich darauf, die Ware ahnungslos einem Mittelsmann abgekauft zu haben.
Wenn in dem kurzen Prozeß auch nicht die ganze Wahrheit über den angeklagten Sachverhalt ans Licht kam, so wurden doch die Sorgen der Kaffee-Fahrten-Veranstalter mit ihren Adreß-Dateien mehr als deutlich. Ein Zeuge, Programmierer bei einer Bremer Kaffee-Reise-Firma: „Von der Qualität waren unsere Daten so schlecht, daß ich anfangs fast einen Herzinfarkt kriegte. Das Datenmaterial war versaut: Doppelte, Tote, alles drin.“ Viel Mühe habe es ihn gekostet, die 1,5 Millionen Adressen „edv-mäßig zu reinigen“. Schließlich sei es eine schwierige
Entscheidung, wenn zwei Adressen bis auf einen Buchstaben im Familiennamen identisch seien, festzulegen, welche von beiden Schreibweisen wohl zu löschen sei. Bei einem Ausstoß von 100.000 Briefen seien zuviele Retouren einfach zu teuer.
Sorgen bereiten dem Gewerbe auch die „undichten Stellen“. Da sind einmal die nächtlichen Einbrüche, die allein in der Kaffee-Fahrten-Branche regelmäßig den Adreß-Beständen gelten. Da sind die MitarbeiterInnen der Firmen, die sich für private Zwecke Kopien der erhandelten Adreß-Karteien beschaffen, oder da sind ähnlich geschäftstüchtige MitarbeiterInnen der Kuvertier-Firmen, die sich eigentlich darauf beschränken sollen, die Adressen auf Briefumschläge zu fabrizieren.
Auch machten die versammelten Spezialisten klar, daß sich eine Studienrätin auf ihren Marktwert von 12 Pfennig nicht allzuviel einbilden kann. Adressen von kapitalkräftigen, zu gewagten Finanzspekulationen bereiten ZeitgenössInnen würden sogar mit einem Stückpreis von 1000 Mark schwarzgehandelt. Interessenten: Keine Kaffee-Fahrer, sondern Anlageberater.
B.D.
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