: Zehn Jahre Pro Familia Bremen
■ Die erste Einrichtung zur ambulanten Abtreibung hat Geburtstag / Ein Jahrzehnt der Anschläge und des massenhaften Zuspruchs von Frauen / Eindeutig für ersatzlose Streichung des § 218 und gegen Zwangsberatung von Schwangeren
„Und ich sach noch ihr Wichser - zieht eure Schwänze ein“ -eine Wandparole am Boulevard der Bremer Universität. Ein paar Türen weiter ging es gestern den ganzen Tag um das Eine herum: um Sexualität und repressive Moral, um den mittelalterlichen Abtreibungsprozeß in Memmingen und Aids als Angstmacher, um Abtreibungs-Folgen und um Sexualität als staatlich beherrschter Risikofaktor. Und es ging vor allem um Pro Familia Bremen, das erste Familienplanungszentrum der Republik mit Beratung und ambulanter Abtreibung unter einem Dach.
Pro Familia Bremen ist gestern auf den Tag genau 10 Jahre alt geworden. Und als Jubiläums-Feier
gab es in der Uni eine Fachtagung, zu der aus Bremen und von weit her BeraterInnen, PolitikerInnen, GewerkschafterInnen, JuristInnen, GynäkologInnen und andere Interessierte gekommen waren.
Zehn Jahre bundesdeutsche Sexualmoral und Sexualgesetzgebung haben buchstäblich ihre Spuren bei Pro Famila hinterlassen. Die Vorsitzende des Bremer Landesverbandes, Brigitte Honnens, erinnerte in ihrem Rückblick an die Anschläge auf das Zentrum 1980, an Drohungen und Schmierereien an Türen und Wänden. Sogar in Bremen war die ambulante und unkomplizierte Abtreibung für viele eine Provokation - bundesweit war
sie es erst recht. Nur fünf weitere Abtreibungszentren gibt es bislang in Hamburg, Rüsselsheim, Kassel, Gießen und Saarbrücken. Daß ab 1985 in Bremen die Wogen hochschlugen, als auch die künstliche Befruchtung in das Leistungsangebot der Bremer Pro Familia aufgenommen wurde, verschwieg Brigitte Honnens nicht. Der Versuch eines „gangbaren Weges der Realisierung des unerfüllten Kinderwunsches“ fiel genau in die Zeit der Debatten um Gen-und Reproduktionstechnologie. Dreieinhalb Jahre später zog Pro Familia die Konsequenzen aus der geharnischten öffentlichen und auch internen Kritik und stellte das Angebot wieder ein.
3.077 Frauen haben 1988 Abtreibungen bei Pro Familia in Bremen machen lassen (die Zahl ist deutlich rückläufig), zwei Drittel von ihnen kamen aus Niedersachsen und anderen Bundesländern. 352 Männer wurden sterilisiert, 206 Spiralen und 59 Diaphragmen angepaßt, 68 Danach-Pillen verordnet, 1.908 Beratungen nach §218 gemacht und 4.666 mal über Familienplanung informiert.
Wenn auch nur eine oder einer im vollbesetzten Uni -Bibliothekssaal war, die nicht für die ersatzlose und sofortige Streichung des Abtreibungsparagrafen und erst recht gegen das geplante Zwangsberatungs-Gesetz war, dann hat sie das jedenfalls nicht
laut gesagt. Podiumsgast Susanne von Paczensky: „Gerade die Zwangs-Beratung definiert Frauen als Opfer! Bei keiner zentralen Lebensentscheidung müssen Menschen sich beraten lassen, weder beim Umgang mit pubertären Jugendlichen noch bei Scheidungen, beim Kinderkriegen oder bei Scheidungen!“
Wie aber steht Pro Familia mit ihrer Staatsknete da? Ist jede Beratung gleich Bevormundung und Pädagogisierung? Darf sie sich zur Handlangerin der Staatsaufträge machen? Immer noch, sogar in den gestrigen Referaten, würden Frauen als Opfer von Repression und Sexualmoral gesehen, kritisierten Frauen aus dem Publikum, obgleich doch die
218-Gruppen und auch Pro Familia selbst die Frucht weiblicher Offensiven seien und die drastische Aufkündigung der so irrigen wie verbreiteten Meinung, daß Mütterlichkeit und Mutterschaft selbstverständlich zum Frausein gehörten. Pro-Familia-Geschäftsführerin Hanna Staud wollte sich keine Alternative aufzwingen lassen: „Wir können und müssen sehr wohl als gesellschaftliche Institution mit aller Macht gegen den 218 und gegen die Zwangsberatung kämpfen. Und das tun wir auch. Aber wir können und wollen dennoch täglich Beratungen und Abtreibungen nach diesem 218 durchführen!“
Susanne Paa
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