: SPD kreist um „neue Politik“
■ SPD-Wahlkampfleiter Wolfgang Nagel erläutert gegenüber der taz die Strategie seiner Partei: Am 2. März soll Momper mit AL-Stimmen gewählt werden
„Wir wissen genau, was wir wollen“, meinte der SPD-Stratege und Momper-Intimus Wolfgang Nagel gestern zur taz. Angesichts des gegenwärtigen Verhandlungsgerangels erstaunen diese klaren Worte. In einem jedenfalls sind sich Nagel und sein Wahlkampfstab hundertprozentig sicher: Am 2. März soll der neue Regierende Bürgermeister Walter Momper, am 9. März die neuen Senatoren gewählt werden.
Mit diesem Zeitplan setzt sich die SPD über die Ratschläge der Bonner Parteigenossen hinweg, denen eine Berliner Entscheidung nach den Frankfurter Kommunalwahlen lieber gewesen wäre: „Da kann nichts schief gehen.“ Überhaupt scheint bei den Berliner Genossen das Selbstbewußtsein gewachsen zu sein. Nagel: „Die Bonner wissen momentan gar nicht so genau, was sie uns raten sollen, aber wir brauchen ihre Ratschläge auch gar nicht.“
Daß die CDU in den Verhandlungen gestern insbesondere in der Mietenfrage „eine Wende um 180 Grad“ machte, nimmt man in der SPD mit Wohlgefallen zur Kenntnis. Ob daraus tatsächliche Annäherungen werden, ist dagegen immer fraglicher. Die Verhandlungslinie der SPD läuft vielmehr darauf hinaus, sich einmal im Kreis, um 360 Grad zu drehen, um dann beim Ausgangspunkt, dem rot-grünen Bündnis, wieder anzugelangen. Das jedenfalls ist Linie im achtköpfigen Wahlkampfstab, der künftig als sogenannter „Organisationsstab“ weiterbestehen soll.
Präferiert wird eine rot-grüne Koalition“, so Wolfgang Nagel. Daß sich Momper und Nagel allerdings gleich auf eine „Koalition versteift“ haben, wird nicht überall in der Partei begrüßt. Viele wollen das Koalieren mit den Alternativen erstmal „üben“ und würden eine Tolerierungsphase bevorzugen. Insgesamt mit der Parteilinie aber sind mittlerweile auch die Parteirechten weitgehend einverstanden. „Wir haben volles Vertrauen zu Herrn Momper, er macht das schon alles richtig“, so der Vorsitzende vom größten SPD-Kreisverband in Reinickendorf, Hans-Joachim Gardein.
Querschüsse erwartet die SPD aus ganz anderer Richtung. Vor allem die „Stille“ der Springer-Presse wird in der SPD -Zentrale mit Unbehagen wahrgenommen. Daß die Medien zum „Sturm auf Rot-Grün“ blasen könnten, will in der SPD niemand ausschließen. Die kampagnenerprobten Genossen haben sich für diesen Fall vorbereitet. Bis zu den Abgeordnetenhauswahlen Anfang März soll noch einmal, sozusagen vertrauensbildend, mobilisiert werden. Auf Extrablättern, zum Teil in Millionenauflage, soll um Vertrauen für Mompers „neue Politik“ geworben werden. Die Jusos haben ihrer Ausgabe bereits zukunfstgewiß den neuen rot-grünen Farbton verpaßt.
An die AL als Bündnispartner müssen sich die Genossen erst gewöhnen. Ratschläge holen sie sich unterdessen aus Hamburg, vom ehemaligen Bürgermeister und GAL-erprobten Klaus von Dohnanyi. Regelmäßig finden Treffen zwischen ihm und der SPD -Spitze statt. Zum „vierten Essential“ neben Bundestreue, Status und Gewalt kristallisiert sich bei der SPD mit zunehmender Ernüchterung“ und Einsicht in alternative politische Kultur die basisdemokratischen „Entscheidungsstrukturen“ der AL heraus. Nagel macht das an einem Beispiel konkret: „Wir können nicht für jede Baulücke eine Koalitionsvereinbarung machen. Auch die AL muß gegebenenfalls unpopuläre Entscheidung mittragen und gegen ein BI-Votum handeln.“
Zwischen „zwei und vier“ Senatorenposten aber gedenkt die SPD gegebenfalls an die Alternativen abzutreten: Schule, Familie, Stadtentwicklung und Umweltschutz sowie möglicherweise das Justizressort.
bim
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