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Die zwei Geburtstagskinder

■ Anläßlich des 50. Geburtstags von Chaplin und Hitler am 16. und 20. April 1939, verglich ein unbekannter Autor in der englischen Zeitschrift 'The Spectator‘ die beiden miteinander. Noch vor dem 'Großen Diktator‘

So verschieden ihre Karrieren und ihr Ruf auch sein mögen, eines haben Chaplin und Hitler gemeinsam: das Geheimnis ihres Erfolgs begründet sich in ihrem Verständnis des „kleinen Mannes“. Des kleinen Mannes der unteren Mittelschicht, der vielleicht das charakteristischste Produkt der 50er Jahre darstellt, die die beiden hinter sich haben. Jeder von beiden hat auf seine Weise die Gedanken, Gefühle und Hoffnungen dieser Millionen von Bürgern zum Ausdruck gebracht, die zerrieben werden zwischen dem oberen und unteren Mühlstein der Gesellschaft. Ihr Geburtsdatum und der kleine Schnurrbart, den beide tragen (und dessen Ursprung aus der Groteske bei Chaplin zu sehen ist), ist vielleicht eine Tücke der Natur, die die Ähnlichkeit ihres Genies verrät. Denn Genie besitzen zweifellos beide. Beide spiegeln dieselbe Realität: das Schicksal des „kleinen Mannes“ in der Gesellschaft. Und beide sind Zerrspiegel, der eine zum Guten, der andere zum unsäglich Schlechten. Bei Chaplin ist der „kleine Mann“ ein Clown, ängstlich, unfähig, von unerschöpflicher Geduld und irritiert von einer Welt, in der es keinen Platz für ihn gibt. Der Apfel, in den er beißt, hat einen Wurm, über seine Hosen - einst die eines Gentlemans - stolpert er, und sein Spazierstock täuscht einen Status vor, den er niemals haben wird. Wenn er einen Hebel bedient, ist es bestimmt der falsche, und das Drama nimmt seinen Lauf. Er ist eine heroische Gestalt, aber heroisch nur in der Geduld, mit der er die Schläge auf seinen Hut hinnimmt. Was er tut und wie er liebt, macht ihn zu einem Engel.

Aber der Engel ist mit Herrn Hitler zum Teufel geworden. Die abgewetzten Schuhe wurden zu Reitstiefeln (im Original deutsch) die unförmigen Hosen zu Reithosen. Der Spazierstock: eine Reitpeitsche, der Bowlerhut: eine Schirmmütze. Der Tramp wurde zum Strom Trooper, nur der Schnurrbart bleibt der gleiche.

Gleichzeitig jedoch sind beide auch Anarchisten. Chaplin hat in seinen Filmen niemals Respekt vor Gesetzen, Regeln, Konventionen. Hinter dem Rücken eines Polizisten ein Sandwich zu klauen ist ihm so selbstverständlich wie einem Kind. Und als der Vorarbeiter in der Fabrik einmal kurz wegschaut, nutzt Chaplin die Gelegenheit und bringt die ganze Maschinerie durcheinander. Er hat kein Zuhause, keine Familie, keinen Job, außer wenn der drohende Hungertod oder Mitleid für jemand anderen ihn dazu zwingen.

Anarchie ist bei ihm nichts anderes als die Forderung nach Menschenwürde und der Widerstand gegen die Zwänge einer unendlich komplizierten Gesellschaft. In Adolf Hitler nimmt dies neue und schreckliche Formen an. Wenn Charlie die Maschine aus der Reihe bringt, dann aus Ignoranz oder Dummheit oder Zerstreutheit. Hitler zerstört sie mutwillig. Inkompetenz verwandelt sich bei ihm in Zerstörungswut, Unwissenheit in Mystizismus und Größenwahnsinn. Die Disziplin, die er den Leuten aufgezwungen hat, kann das Chaos, das er schuf, nicht verbergen. Beim einen ist die Anarchie eine Waffe gegen die Außenwelt, bei dem anderen ist sie das Maß der Gewalt, das nötig ist, um ein Volk zusammenzuhalten, nachdem jede religiöse, moralische, soziale oder politische Ordnung zerstört wurde. (...)

Wie läßt sich die Verwandlung des Clowns in diesen Alptraum von einem Führer erklären? Die Antwort läßt sich finden in den Veränderungen der letzten 20 Jahre. Chaplins Genie und seine Figur haben sich in der Vorkriegszeit entwickelt. Damals war dem 'kleinen Mann‘ ein gewisses Maß an Sicherheit und Wohlstand sicher und er verschwendete keinen Gedanken an Revolte, ja nicht einmal ihre Notwendigkeit. Aber Hitlers 'kleiner Mann‘ ist eine Nachkriegserscheinung, aus einer Zeit, als die Gesellschaft extrem geschwächt war, durch den Krieg, durch Inflation, Börsenkrach und das ewige Schlangestehen. Chaplin hat oft, meistens nur für einen kurzen Augenblick, gezeigt, wie sich sein Clown den Himmel auf Erden vorstellt - ein Mädchen, einen Hamburger, die eigenen vier Wände - ein Paradies, aber ein vergängliches: die Vergänglichkeit macht diese kurzen Momente so wahrhaftig. Solange sie dauern, ist er im siebten Himmel; aber im nächsten Moment ist es vorbei, er zuckt mit den Schultern, klackt mit seinen Absätzen und watschelt davon.

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