: „Sensibler Stoff“
Nicht genehmigtes Dioxin auf der Sondermülldeponie Breitscheid gefunden / Herkunft unklar / Trotz 27 Gutachten keine Klärung der „Sicherheitsfrage“ ■ Von Süster Strubelt
Düsseldorf (taz) - Die Sondermülldeponie am Autobahnkreuz Breitscheid bei Düsseldorf gilt als die bestuntersuchte in der Bundesrepublik. 27 Gutachten wurden in den vergangenen fünf Jahren im Auftrag des Regierungspräsidenten in Düsseldorf über die Giftmüll-Lagerstätte in Ratingen erstellt - dennoch stand die Kommunalaufsicht vor einem Rätsel, als sie kürzlich Dioxin in hoher Konzentration im Ölteppich auf dem Sickerwasser fand. Er wisse nicht, woher das Seveso-Gift stamme, erklärt Pressesprecher Johannes Winkel, denn die Lagerung dioxinhaltiger Abfälle sei auf der Deponie verboten.
Die Fraktion der Grünen in Ratingen hätte ihm indes durchaus einige Tips geben können. Ratsmitglied Bernd Schultz-Mischke hat nach „fast kriminalistischen Studien“ herausgefunden, daß in Breitscheid schon 1974 dioxinhaltige Abfälle gelagert wurden. Weil eine Sondermülldeponie in Heidelberg vorübergehend für Dioxin gesperrt wurde, fuhren die Gifttransporter eine Zeitlang nach Ratingen. Im gleichen Jahr ergab eine interne Untersuchung des Landesamtes für Wasser und Abfall, daß die Firmen in Breitscheid ihren Sondermüll „ohne Eingangskontrolle“ und unter Pauschalbezeichnungen wie zum Beispiel „Rückstände aus der Wasch- und Reinigungsmittelindustrie“ abkippten. Aber erst sechs Jahre später, als die Deponie wegen ihres Gestanks ins Gerede gekommen war und sich die FDP in Ratingen für die belästigten Anwohner stark machte, gab der Regierungspräsident in Düsseldorf ein Gutachten in Auftrag. Professor Haitmann von der Technischen Hochschule Aachen kam 1980 zu dem Ergebnis, daß die ehemalige Tongrube zu weit ausgegraben wäre. Es sei nicht sicher, ob unter dem Giftmüll eine „Rest-Tonmächtigkeit“ existiere, die stark genug sei, das umliegende Grundwasser von den Giften der Deponie abzuschirmen.
Nachdem das Gutachten 1984, also vier Jahre später, der Öffentlichkeit vorgestellt worden war, gab der Regierungspräsident sofort ein Gegengutachten in Auftrag. Seither haben 27 Gutachter bei der Kommunalaufsicht Geld verdient, doch als sich die Stadt Ratingen 1985 für die Frage interessierte, ob denn im Sickerwasser der Deponie auch Dioxin vorkäme, teilte die Kreisverwaltung in einem Brief mit, daß dabei Kosten von 5.000 bis 10.000 Mark pro Analyse anfielen und zudem in Nordrhein-Westfalen „dem Vernehmen nach“ kein Laboratorium in der Lage sei, „derartige Untersuchungen durchzuführen“.
Die Stadtwerke Duisburg, die ihr Trinkwasser nur acht Kilometer von der Deponie entfernt aus einem Brunnen schöpfen, ließen sich mit solchen Auskünften nicht abspeisen. Nachdem im Umkreis von 200 bis 800 Metern um die Deponie herum stark erhöhte Konzentrationen von Phenolen und aromatischen Kohlenwasserstoffen im Grundwasser gefunden wurden, klagten sie gegen eine Verlängerungsgenehmigung, die der Regierungspräsident den Betreibern der Sondermülldeponie 1987 erteilte. Ihre Klage wurde jedoch vom Oberverwaltungsgericht in Münster abschlägig beschieden. Johannes Winkel, Pressesprecher des Regierungspräsidenten, folgert daraus, daß alles in Ordnung sei - obwohl einer der bestellten Gutachter inzwischen zu dem Ergebnis kam, die Deponie müsse geschlossen und der Giftmüll abgetragen werden.
Auch nach dem Dioxinfund sieht die genehmigende Behörde keinen Grund, strengere Maßstäbe an die Sondermüll-Abkipper anzulegen. Statt dessen wird sich der Kreis der Kunden noch erweitern: Der schwermetallhaltige Staub aus dem Müllheizkraftwerk in Essen-Karnap wird nicht mehr nach Frankreich, sondern demnächst auf die Mülldeponie in Ratingen gebracht. Die dioxinhaltigen Öllachen sollten allerdings, so ein Brief des Regierungspräsidenten in Düsseldorf an die Stadt Ratingen, gesondert abgenommen und entsorgt werden - nicht zuletzt, weil es sich bei Dioxin um einen „öffentlichkeitssensiblen chemischen Stoff“ handle.
An die empfindsame Öffentlichkeit, vermuten die Grünen, habe wohl auch der Arbeitskreis Breitscheid, eine Zusammenkunft der zuständigen Behörden und des nordrhein -westfälischen Umweltministeriums, bei einem seiner letzten Treffen gedacht. Bernd Schultz-Mischke will Kenntnis von einem handschriftlichen Vermerk im Protokoll des Arbeitskreises haben, nach dem die gefunden Dioxinwerte auf 1,2 my Gramm/Kg, unter den Grenzwert für Sondermülldeponien, herunterkorrigiert worden seien.
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