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Zehn Minuten für's Abendbrot

■ Das Moabiter Amtsgericht stellte das Verfahren gegen den Aktionspolitologen Dieter Kunzelmann ein / Der Vorwurf: Beamtenbeleidigung im Knast

„Das Wort Gesindel gehört nicht zu meinem Wortrepertoire“, empörte sich der Aktionspolitolge Dieter Kunzelmann (49) gestern vor dem Moabiter Amtsgericht. Kunzelmann stand diesmal vor dem Kadi, weil er während seiner einmonatigen Inhaftierung im Moabiter Knast im Juli 1987 einen Beamten beleidigt haben soll. Das Verfahren wurde gegen 50 Mark Geldbuße eingestellt. Kunzelmann hatte sich dafür entschuldigt, einen 27jährigen Beamten als „junges Gehopse und Gemüse“ beschimpft und zu diesem außerdem gesagt zu haben: „Ich möchte nicht, daß Sie in meine Zelle gehen, solange ich beim Anwalt bin, am Ende legen Sie mir noch Rauschgift rein.“ Richter Füllgraf sprach von einem gegenseitigen Mißverständnis.

Kunzelmann saß seinerzeit für einen Monat in U-Haft: Weil er zu seinem Prozeß um eine Äußerung in der taz, der Senat sei eine „kriminelle Vereinigung“, nicht mehr erschienen war, hatte das Gericht gegen ihn Haftbefehl erlassen. Nachdem er eine Weile in der Versenkung verschwunden war, hatte er sich am 26.Juni '87 in einer spektakulären Aktion beim Empfang des schwedischen Ministerpräsidenten Carlsson im Rathaus Schönberg festnehmen lassen. Der gestern zur Verhandlung stehende Vorfall hatte sich während der Ausgabe des Abendbrots im Knast ereignet. Kunzelmann berichtet vor Gericht, daß er gerade dabei gewesen sei, seine Stullen zu schmieren, als der Beamte K. mit den Worten in seine Zelle gekommen sei: „ Anwaltssprechstunde, mitkommen“. Kunzelmann dazu: „Ich habe dem Beamten gesagt, daß ich, bevor ich zum Anwalt gehe, noch meine Brote fertig schmieren und schneiden muß. Ich bin nämlich Gebißträger“. Weil die Anwaltssprechstunde sehr lange dauern könnte, hatte Kunzelmann befürchtet, das Brotmesser nach seiner Rückkehr nicht mehr vorzufinden: Die Messer werden nämlich nach dem Essen eingesammelt. Auf die Anwort des Beamten, „wenn Sie nicht sofort zum Anwalt gehen, schließe ich Sie nicht mehr auf“, so Kunzelmann, „bin ich ausgeflippt“.

Daß der Aktionspolitolge an jenem Tage sowohl seine Brote fertig schmieren und schneiden als auch seinen Anwalt sprechen konnte, hatte er dem Beamten Sch. zu verdanken. Jener hatte den Beamten K. aufgefordert, Kunzelmann zehn Minuten Zeit zu geben und dann zum Anwalt zu bringen. Auf dem Weg zur Sprechzelle, bestätigte Kunzelmann gestern, „habe ich wirklich rumgetobt, denn sowas ist mir in meiner langjährigen Haftpraxis noch nicht passiert“. Dabei sei auch der Satz gefallen: „... am Ende legen Sie mir noch Rauschgift rein“. Der 27jährige Beamte K. begründete sein ultmatives Auftreten gegenüber Kunzelmann gestern damit, daß Gefangene, die zum Anwalt geführt werden müßten, „zu kommen haben“. Er hätte Kunzelmann sicher nicht mehr abgeholt, wenn er nicht von seinem älteren Kollegen Sch. dazu angehalten worden wäre, versicherte K.

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