: „Kulturrevolution“ zur Mittagspause
■ WDR will in einem dreimonatigen Versuch die „Mittagslücke“ schließen
Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt, geht sie im Mittagsprogramm des Westdeutschen Rundfunks wieder auf - als Videoclip. Die Formel eins des deutschsprachigen Schlagers ist eine der neuen Sendungen, mit denen der SDR ab Oktober in Nordrhein-Westfalen die plötzlich entdeckte Mittagslücke schließen will.
„Jede Lücke ist kein Problem, solange es keine Konkurrenz gibt“, sagte Fernsehprogrammdirektor Günther Struve bei der Präsentation des Angebotes und gab damit zu, daß es in dem mit den privaten Sendern ausgefochtenen Kampf um die Einschaltquoten erbitterter zugeht als angenommen. Der WDR will deshalb nicht abwarten, bis Verhandlungen mit dem ZDF zu einer gemeinsamen Ausstrahlung in der Mittagszeit führen, und wagt den Alleingang.
In Köln verspricht man sich von der Ausweitung der Sendezeit, die Zuschauer wieder stärker an die ersten Programme zu binden. Die Praxis der Privaten, schon mittags mit Trailern und Hinweisen auf die Spielfilme, Serien und Shows der Abendstunden aufmerksam zu machen, habe - so Struve - bereits einen merklichen Zuschauerrückgang gefördert. Die Entscheidung des WDR-Rundfunkrates, die Mittagslücke zu schließen, stelle somit nur die Chancengleichheit wieder her. Struve schließt aber nicht aus, daß der Vorschlag aus Mainz, im kommenden Jahr Mittagsfernsehen im Verbund zu starten, trotzdem realisiert werden kann. Das dreimonatige regionale Versuchsprogramm sei so flexibel gestaltet, daß es auch in Zusammenarbeit mit dem ZDF gültig bleiben kann.
Wie stark der Druck der privaten Konkurrenz in Köln empfunden wird, beweist der vorläufige Programmentwurf. Der Mittag gehört dem Experiment. Neben dem Versuch, mit dem Videoclip-Magazin Der Schatz ist vergoldet Volkslieder und Unterhaltungsmusik in Bild zu setzen, sollen die Sendungen Weltberichte und Zeitberichte für Kinder und Jugendliche Hintergrundreportagen in aufgelockerter Verpackung liefern. Und die Gesprächsrunde talk täglich will viermal in der Woche inhaltliche Maßstäbe setzen. Als „Ein Stück Kulturrevolution - aber bitte in Anführungszeichen“ wollte Struve das Wagnis dieser Talkshow zu ungewohnter Tageszeit verstanden wissenf. Neuproduktionen und Wiederholungen halten sich im Mittagsprogramm des WDR die Waage. Mit einem vier Millionen DM umfassenden Etat hofft man sich gegen den Wettbewerb der privaten Anbieter durchsetzen zu können.
boy
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