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Gerangel um IWF-Quotenerhöhung

Verschuldung erheblich höher als angenommen / Entscheidung auf April vertagt / Alte Konzepte auf neuem Papier  ■  Von Horst Buchwald

Das Treffen der sieben mächtigsten Industrienationen Großbritannien, Frankreich, Italien, Japan, Kanada, USA und Bundesrepublik vor eineinhalb Wochen war von den Teilnehmern bewußt niedrig gehängt worden. Nur mühsam konnte die „G-7“ jedoch ihre tiefgreifenden Meinungsdifferenzen über die Strategien in der Verschuldungskrise unter der Decke halten. Sie werden nun um so dringlicher bei der Frühjahrstagung von Weltbank und Währungsfonds (IWF) auf der Tagesordnung stehen. Insbesondere das Gerangel zwischen Bonn und Washington ist dabei offenkundig. Es geht zunächst um den Zeitpunkt und das Ausmaß der IWF-Quotenerhöhung, die insbesondere von der Bundesregierung favorisiert wird. Wie schon die Reagan-Administration auf der Jahrestagung von IWF/Weltbank in West-Berlin, so bleibt auch die neue US -Regierung bei einem Nein. Der Hinweis Washingtons auf Zahlungsrückstände anderer IWF-Mitglieder in Höhe von 3,5 Milliarden Dollar ist dabei nur vorgeschoben. Deutliche Widerstände im Kongreß und vor allem das Haushaltsdefizit dürften die wahren Gründe sein. Unterstützung findet die Bush-Administration bei Margaret Thatcher. Sie kann es nicht verwinden, daß bei einer Quotenerhöhung im IWF Japan aufgewertet und Großbritannien herabgestuft würde.

Eine gewisse Unterstützung findet Bonn hingegen beim Institut of International Finance (IIF), das vom ehemaligen Staatssekretär der Schmidt-Regierung, Schulmann, geleitet wird, und 180 Großbanken repräsentiert. In einer vor dem G-7 -Treffen herausgegebenen Studie „Der Weg vorwärts für Länder mit mittlerem Einkommen“ forderte das IIF u.a.ein stärkeres Kreditengagement von IWF und Weltbank. Ohne eine Kapitalaufstockung beim IWF (das Kapital der Weltbank wurde am 27.4.1988 um 74,8 Milliarden Dollar erhöht) wird dies aber nicht möglich sein.

Das Großbanken-Institut fordert darüberhinaus, die Regierungen der Gläubigerländer müßten mehr direkte Finanzhilfen durch ihre Exportkreditversicherer sowie durch Umschuldung im Rahmen des Pariser Club leisten. Für eine weitere Teilnahme am Finanzierungsprozeß, heißt es in der Studie, würden „neue Geschäftsgrundlagen“ gebraucht. Neben der Bereitstellung von Garantien für Zinszahlungen und/oder Tilgungsfälligkeiten gehören dazu neue Darlehen und Schuldenumwandlungen.

Die Position der internationalen Banken, sich an Umschuldungen und neuen Kreditpaketen immer weniger zu beteiligen, ist jedoch keineswegs neu. Aus dem Ende 1988 vorgelegten Jahresbericht der Weltbank geht hervor, daß sie 1988 für nur 7,5 Milliarden Dollar neue Kredite vergaben wovon Brasilien allein 5,2 Milliarden Dollar erhielt. Auch der Prozeß des Netto-Ressourcentransfers von Süd nach Nord ist keineswegs gestoppt. Von 1985 bis 1987 flossen 74 Milliarden Dollar aus den hochverschuldeten Ländern vor allem in die Kassen der Großbanken. Statt 1,3 Billionen Dollar, wie die Weltbank annahm, beträgt die Verschuldung der Dritten Welt nach einer neuen Studie des Münchner ifo -Institutes 1,6 Billionen Dollar.

Vor diesem Hintergrund ist die Behauptung des IIF, die Banken hätten ihren Teil eines fairen „burden sharing“ bereits geleistet (z.B.indem sie sich bereit erklärten, die Tilgung auf Darlehen zu strecken, kurzfristige Handelskredite und Interbanklinien aufrechtzuerhalten sowie den 15 Baker-Plan-Ländern 50 Milliarden Dollar zuzusagen) reine Vernebelung.

Bonns Pakt mit den Großbanken bietet jedoch ebensowenig konstruktive Ansätze für neue Wege heraus aus dem Teufelskreis der Verschuldung wie jene Gerüchte um Modifikationen der Baker-Strategie, die Washington ausstreute. Bush hat eindeutig „radikale Veränderungen“ ausgeschlossen und Prinzipien wie verstärkte Weltmarktorientierung der Schuldnerländer und Fall-zu-Fall -Lösungen bekräftigt. Die Kreditverweigerungshaltung der Großbanken nannte er zwar „enttäuschend“, doch ist ihm zugleich auch klar, daß die US-Banken - wegen immer noch zu geringer Risikovorsorge - im Rahmen des IIF zu den schwächsten Kandidaten zählen. Die Verwendung der ohnehin knappen Etatsmittel für die Übernahme von Bankenrisiken schloß er jedoch aus.

Weil das Schuldenmanagement also weiterhin in einer Sackgasse steckt, muß mit einer weiteren Verschärfung der Schuldenkrise gerechnet werden. Bereits zum Jahreswechsel kündigte Venezuela mit Wirkung vom 17.Januar die Einstellung der Tilgungszahlungen für den größten Teil seiner Auslandsschulden an. Kolumbien erklärte ein vorübergehendes Moratorium auf seine Auslandsverbindlichkeiten. Die gesamte Auslandsschuld Venezuelas beläuft sich auf 33 Milliarden Dollar und Kolumbien, das bisher noch nie eine Umschuldung vornehmen mußte, will den Schuldendienst für ein Vierteljahr aussetzen.

Die seit sieben Jahren währende Verschuldungskrise hat dem Kontinent Stagnation, sinkenden Lebensstandard und hohe Kapitalflucht beschert. In den wichtigsten Baker-Plan -Ländern herrscht eine kaum vorstellbare Inflation. In Argentinien betragen die kumulierten Geldentwertungen im Zeitraum von 1982 bis 1988 rund 475.000 Prozent, in Brasilien 120.000 Prozent, in Peru 29.000 Prozent. Die gesamte Verschuldung Lateinamerikas wird auf mehr als 400 Milliarden Dollar geschätzt. Seit 1982 haben die Staaten dieses Kontinents rund 235 Milliarden Dollar an Zinsen gezahlt - doch bis 1988 hat sich die Verschuldung um 50 Milliarden Dollar erhöht. US-Präsident Bush, der das Schatzamt beauftragt hat, über neue Strategien in der Schuldenkrise nachzudenken, täte gut daran, zunächst auf die Forderung der wichtigsten Schuldnerländer Lateinamerikas nach einem Gipfeltreffen zwischen Gläubigern und Schuldnern einzugehen. Dies wäre die richtige Konsequenz aus seiner Äußerung, daß die Schuldenkrise nicht allein ökonomischer, sondern auch politischer Natur sei.

Auch in Afrika geht die ökonomische Talfahrt weiter. Einem Wirtschaftswachstum von 2,5 Prozent wird ein Bevölkerungszuwachs von drei Prozent gegenüberstehen. Die UN -Wirtschaftskommission für Afrika (ECA) prognostiziert damit ein seit neun Jahren dauerndes Sinken des Lebensstandards. Zu Beginn dieses Jahres lag das durchschnittliche Pro-Kopf -Einkommen bereits um 20 Prozent unter dem zu Beginn des Jahrzehnts. Das Schuldenproblem hat sich auch 1988 weiter verschlechtert. Die Zahlungsverpflichtungen stiegen auf 230 Milliarden Dollar - 1985 waren es 174 Milliarden Dollar.

Mit einem durchschnittlichen Wachstum von acht Prozent stellen die Entwicklungsländer im asiatisch-pazifischen Raum eine Ausnahme dar. Besonders prägend waren dabei jedoch die Ergebnisse der „vier kleinen Tiger“ Hongkong, Singapur, Südkorea und Taiwan. In Bangladesh und Indonesien wurden hingegen weit geringere Wachstumsraten erzielt. Doch auch den hochverschuldeten Ländern dieser Region (Südkorea, Philippinen) ist es nicht gelungen, das Schuldenproblem zu mindern. Auch 1989 tickt die Schuldenbombe weiter.

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