: Bäumchen-verwechsle-dich-nicht
■ „Die Unzertrennlichen“ von David Cronenberg, Kanada, ist ein furchtbar-schöner Psycho-Thriller, der vor allem den Zwillingspaaren unter unserern LeserInnen ans Herz gedrückt sei: Aber auch allen anderen
Eine Kindheit wie aus dem Bilderbuch für den erfolgreichen Menschen: Beverly und Elliot sind klug, genial, neugierig und ein klein wenig weltfremd. Im zarten Alter von zehn Jahren fragen sie sich, welche Funktion der Sex für die Menschen hat. „Die Menschen haben Sex, weil sie keine
Fische sind“, naseweist Beverly, und schon nähern sich die beiden mit sicherem Schritt einem Mädchen, dem sie unzweifelhafte Offerten machen. Sie bekommen einen Korb, eilen nach Hause, um an einem Plastikmenschen eine Operation vorzunehmen. Mit einem Gerät, das sie selbst entwic
kelt haben. Sie entfernen dem Probanden Lunge, Herz und Leber. Der Film „Die Unzertrennlichen“ endet später so, wie er begonnen hat. Nur schlimmer.
Beverly und Elliot sind die „Unzertrennlichen“, eineiige Zwillinge. Niemand kann sie auseinanderhalten, auch später während des Medizinstudiums nicht, als sie für das Gerät, das sie als Kind entwickelt haben, ausgezeichnet werden.
Zehn Jahre später, Toronto 1988: Die Brüder Mantle sind mittlerweile Gynäkologen. Erfolgreiche. Sie leben in einer prächtigen Wir-lieben-italienische-Möbel-Wohnung über den Dächern Torontos, haben eine gutgehende gemeinsame Praxis und werden für Forschungsleistungen ausgezeichnet. Sie sind sich ähnlich und nutzen die Ähnlichkeit aus: Teilen Ansehen, Erfolg und vor allem die Frauen.
Das geht lange Jahre gut. Bis zu dem Moment, als sich Beverly in No-Make-Up-School-Of-Acting-Claire (Genevieve Bujold) verliebt, eine Schauspielerin mit drei Gebärmutter -Ausgängen, die das Bäumchen-verwechsle-dich
Spiel der Brüder durchschaut und „Trennung“ fordert. Die Abnabelung beginnt.
In immer schrecklicher werdenden Alpträumen fantasiert Beverly die bevorstehende psychische Trennung von seinem Bruder als eine körperliche. Schlafstörungen, Angstzustände, Depressionen und Halluzinationen werden mit Beruhigungspillen gedämmt, immer häufiger wankt Beverly wie ein Irrlicht durch seine Wohnung. Seine Persönlichkeit, die sich bisher immer durch die Zweisamkeit definierte, löst sich, getrennt vom Bruder auf, er ist drogenabhängig, vereinsamt, asozial.
David Cronenbergs Film „Die Unzertrennlichen“ basiert auf einer Zeitungsnotiz aus den 70er Jahren. Damals wurden in Manhattan zwei Gynäkologen im Zustand der Verwesung im einem Appartment gefunden, die Wohnung war völlig verwahrlost, ein Chaos aus Pillendosen, gebrauchter Spritzen und leerer Flaschen. Cronenberg, der bisher durch spektakuläre Effekt -Horrorfilme mit viel Blut, viel Grusel und viel Riesenspinnen auf sich
aufmerksam machte, entwickelt aus diesem Stoff einen aufregenden Psycho-Thriller. „Dieser Film ist wesentlich naturalistischer als meine früheren“, sagt er auch selbst. „Die Kunst in Der Fliege bestand darin, das Phantastische als real zu präsentieren. Umgekehrt lag die Herausforderung bei Die Unzertrennlichen darin, das Reale phantastisch wirken zu lassen“.
Cronenberg scheint sich bei der Arbeit mit dem Schrecken an seinem polnischen Kollegen Kieslowski orientiert zu haben, der in seinem prämierten Film „Ein kurzer Film über das Töten“ die furchtbarste und längste Tötungsszene (siebeneinhalb Minuten) der Filmgeschichte zeigt. Cronenberg will vor allem das psychische Grauen eines (oder zwei) Menschen sichtbar machen, der gezwungen wird, sich unabhängig zu machen. Mithilfe des englischen Schauspielers Jeremy Iron, der in einer Doppelrolle beide Männer spielt, gelingt ihm das. Sehr gut sogar.
Regina Keichel
City 1, 15.45, 18.15, 20.45
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