piwik no script img

„Ich bin für eine offensive Antwort“

Hans Magnus Enzensberger zu den Morddrohungen gegenüber Rushdie und zur Politik der Verleger / Boykott der Autoren?  ■ I N T E R V I E W

taz: Wie verhalten Sie sich als Schriftsteller persönlich und mit Ihren Kollegen zu dem Verhalten des Verlags Kiepenheuer und Witsch?

Enzensberger: Ich glaube, da ist wenig Luft für eine Prinzipiendiskussion. Ich glaube, daß man es sich besonders in Deutschland nicht leisten kann, solche Dinge wie die Freiheit der Presse und Meinungsäußerung in Frage zu stellen. Wir können uns das nicht leisten, und wir wollen uns das auch nicht leisten. Also keine Diskussion über Kulturrelativismus in diesem Zusammenhang. Wir sind mit der Inquisition fertig geworden, wir sind mit Hitler zwar nicht fertig geworden, aber andere sind mit Hitler fertig geworden, und wir haben weder Lust noch Anlaß, uns auf eine neue religiöse oder politisch-motivierte Verfolgung dieser Art einzulassen. Dazu kommt ja dann noch, daß es sich um terroristische Morddrohungen handelt, und jeder, der dieser Drohung nachgibt, muß sich vorwerfen lassen, daß er sich in der verächtlichsten Weise als Mitläufer aufführt.

Wie können Sie sich denn erklären, daß der Verlag die Veröffentlichung der „Satanischen Verse“ jetzt fallenläßt?

Er ist ja nicht der einzige. Ich höre ja, daß der französische Verleger und nach meinen Informationen auch der italienische ebenso handelt. Meiner Meinung sind das Leute, die unsere Verachtung verdienen. Ich hoffe, daß es eine breite Boykottantwort von seiten Autoren gibt, die bei diesen Verlegern bisher zu Hause waren.

Andererseits existieren ja reale Drohungen, daß Todesschwadronen unterwegs seien, sowohl aus Saudi-Arabien, v.a. aus Pakistan und dem Iran. Wie sollte der Verlag reagieren?

Man muß die Basis verbreitern. Also, ich glaube, das Buch wird auf jeden Fall in Deutschland erscheinen, denn wenn die Verleger nicht den Mut haben, es selbst zu tun, dann werden wir als Autoren uns überlegen müssen, wie wir das machen. Günter Grass hat schon eine Initiative dieser Art ins Auge gefaßt. Es hat einen Präzedenzfall gegeben, einen viel milderen muß ich sagen. Da gab es einen Herren namens Bommi Baumann, der mit der 68er-Bewegung zu tun hatte. Der hat ein Buch geschrieben, die Staatsanwaltschaft hat versucht, es zu verbieten. Daraufhin haben sich ein paar Dutzend Autoren als Herausgeber dieses Buchs zur Verfügung gestellt. Warum sollen wir uns nicht irgendeinem muslimischen Geistlichen gegenüber genauso verhalten. Ich bin für eine offensive Antwort auf diese Provokation.

Die CDU/CSU-Fraktion hat auch schon anklingen lassen, daß sie den Fall vor die UN-Menschenrechtskommission bringen werde.

Ich begrüße sehr, daß alle Regierungen da aktiv werden, die englische Regierung in erster Linie, aber auch unsere Regierung. Wie realistisch es ist, von ihnen wirtschaftliche Sanktionen zu erwarten, das weiß ich nicht. Aber selbst symbolische Gesten sind in so einer Situation durchaus wünschenswert. Im übrigen kommt ja noch etwas anderes dazu, und da möchte ich mich vielleicht direkt an diejenigen unserer Mitbürger wenden, die muslimischen Glaubens sind. In der gegenwärtigen politischen Situation ist eine solche Handlung absolut selbstmörderisch für diese Minderheit. Alle wissen, unter welchem innenpolitischen Druck diese Leute heute schon stehen. Wenn die Sprecher ihrer Religionen Morddrohungen äußern, wird sich die politische Lage in der BRD erheblich zuspitzen. Das ist ein Gottesgeschenk für die Republikaner.

Aber in dem Zusammenhang ist es auch bemerkenswert, daß eigentlich relativ viel Distanzierungen von islamischer Seite kommen. Ist es nicht einfach der islamische Terrorismus, den man seit langem kennt?

Auf so eine Differenzierung kann ich mich nicht einlassen, weil ich natürlich die innenpolitischen Verhältnisse im Iran nicht kenne. Es steht nur fest, daß das Staatsoberhaupt und zugleich das geistliche Oberhaupt einer islamischen Nation sich mit Morddrohungen gegen einen Schriftsteller hier im Westen gewendet hat. Und diese Tatsache ist ernst zu nehmen. Selbst wenn er diese Drohungen zurücknähme - es gibt so viele Zombies in der Szene.

Also keine philosophischen Debatten über unterschiedliche Kulturen?

Nein. Man kann natürlich da eine philosophische Diskussion über die Universalität der Menschenrechte einerseits und den Kulturrelativismus andererseits führen, aber ich finde, das ist zu luxuriös. Wenn man einem Mann die Pistole in den Nacken hält, habe ich keine Lust zu solchen Diskussionen.

Kam die Aufforderung zum Mord an Rushdie für Sie Überraschend?

Natürlich, und wahrscheinlich sind sich die Urheber dieses Schritts nicht über die Implikationen im klaren, auch über die politischen Implikationen. Das wird sehr teuer. Und wenn dem Rushdie auch nur ein Haar gekrümmt wird, dann wird es sehr teuer für den Islam.

Interview: Simone Lenz

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen