„Ausländerpolitik ist nicht gewollt“

■ Senatsdirektor „nicht im Bilde“ / Aus Sparzwängen „beispielhaftes Konzept auf den Hund gebracht“ und „Minderheiten an die Wand gedrückt“ / SPD will für aktive Ausländerintegration künftig „gesamten Senat in die Pflicht nehmen“

In Bremen leben über 50.000 Ausländer. Für Konservative und Rechtsradikale längst keine Selbstverständlichkeit und willkommene Gelegenheit, mit nationalistischen Parolen Wähler fürs eigene Parteiprogramm zu mobilisieren. Auch Sozialdemokraten reagieren in Bremen auf die Ideologie der Ausländerfeindlichkeit vornehmlich ideologisch: Mit Bekenntnissen zu Ausländerintegration, mit gut gemeinten symbolischen Gesten. In Bremen sollen Ausländer demnächst Stadtteilbeiräte wählen dürfen. Dort, wo Ausländerprobleme nicht mit kostenneutralen Gesetzen zu lösen sind, sondern praktische Hilfe - also Geld und Personal - nötig wäre, droht die Ausländerpolitik zu scheitern. Wo die offizielle Politik Ausländer selbst zur Randgruppe erklärt, trägt sie gewollt oder ungewollt - zu einer Ideologie bei, die sie symbolisch gleichzeitig bekämpft. Diese Ideologie heißt Ausländerfeindlichkeit.

Wer also hat versagt? Die Sozialarbeiter, die Konzepte, nach denen sie arbeiten, der Sozialsenator, der für ihre Umsetzung sorgen müßte, oder die Partei, die sie erarbeitet hat? Die Antwort von Senatsdirektor Hans-Christoph Hoppensack in einem internen Aktenvermerk: Bremens Sozialarbeiter haben „ein stark politisierendes, skandalierendes“ Verständnis von Ausländerarbeit. (vgl. taz. vom 13. und 14.2.). Gegenthese von Wolfgang Linder, 8 1/2 Jahre Ausländer-Referent im Sozialressort: Der Senatsdirektor ist nicht im Bilde. Er hat schlicht Ausländerpolitik vernachläßigt.

Die taz sprach mit Wolfgang Linder, der SPD -Bürgerschaftsabgeordneten Ilse Mehrkens, Mitglied im SPD -Fraktionsausschuß „Ausländerpolitik“, und mit Barbara Wulff und Ali Elis, den Vorsitzenden der SPD-Parteikommission „Ausländerpolitik“.

taz: Ausländerarbeit in Bremen ist „notleidend“ geworden, wie Senatsdirektor Hans-Christoph Hoppensack sich ausdrückt. In einem taz-Interview (vgl. taz vom 14.2.) hat Hoppensack dafür auch eine Erklärung: Die Sozialarbeiter haben nach dem „Lustprinzip“ gearbeitet. Ist Sozialarbeit für Ausländer in Bremen reines Vergnügen?

Wolfgang Linder: Natürlich nicht. Herr Dr. Hoppensack scheint einfach nicht im Bilde zu sein. Er scheint einfach nicht zu wissen, was in seinem Ressort in den letzten sechs bis sieben Jahren in punkto „Ausländerarbeit“ gelaufen ist. Es gibt Geschäftsvertei FOTO 1

Wolfgang Linder war 8 1/2 Jahre Ausländer-Referent von Sozialsenator Henning Scherf. Im letzten Jahr warf er resigniert das Handtuch und schützt heute Daten beim Bremer Datenschutzbeauftragten Alfred Büllesbach

lungspläne, es gibt Deputationsvorlagen, es gibt Senatsbeschlüsse. Nach denen wird Ausländerarbeit gemacht. Aber nur noch von denen, die diese Arbeit noch machen dürfen. Daß diese wenigen Sozialarbeiter ständig überfordert sind, liegt daran, daß die Spitze des Ressorts Ausländerpolitik vernachläßigt hat. Und diese Haltung setzt sich in den unteren Leitungsebenen fort: Ausländerpolitik ist als Schwerpunkt nicht mehr gewollt. Immer, wenn in den letzten Jahren die Alternative zur Diskussion stand: Was wird gemacht, Ausländerpoltik oder etwas anderes, hat die Ausländerpolitik das Nachsehen gehabt. Entsprechend ist die Zahl der Mitarbeiter zurückgegangen. Sie liegt heute schätzungsweise bei sechs, obwohl es geeignete und qualifizierte Mitarbeiter gäbe.

Wie wirkt sich dieser Ausdünnungsprozeß denn auf der anderen Seite aus, also bei den Ausländern?

Barbara Wulff: In Gröpelingen z.B., wo 11 Prozent der Bevölkerung aus Ausländern besteht, ist im Grunde nur noch ein Sozialarbeiter da, der Einzelfallhilfe

macht. Die Folge ist: Zahlreiche Gruppen, Gruppen für ausländische Frauen, Kulturgruppen, die die sozialen Dienste früher mitangeleiert haben, existieren heute einfach nicht mehr.

Heißt das, die Behörde erfährt gar nicht mehr, wo Ausländer Probleme haben? Oder registriert sie die Probleme zwar, kann aber nicht mehr reagieren?

Ilse Mehrkens: Im gesamten Bremer Osten gibt es keinen Sozialarbeiter, an den sich Ausländer direkt wenden können. Das war früher anders. Folge ist: Die Ausländer ziehen sich zurück. Die Behörden werden also gar nicht mehr mit ihren Problemen konfrontiert. Davon sind die Probleme aber natürlich nicht weg. Im Gegenteil, es werden mehr. Weil die Leute aber nicht mehr wissen, wohin damit, geht bei mir sonnabends, sonntags ständig das Telefon: Kannst du uns helfen, wo sollen wir hingehen? In den Stadtteilen bieten zwar freie Träger und Initiativen Hilfsangebote an. Es fehlt aber die Koordina

FOTO 2 Ilse Mehrkens, SPD-Bürgerschaftsabgeordnete, Mitglied der Sozialdeputation und im SPD-Fraktionsausschuß „Ausländerpolitik„

tion. Das heißt: Es laufen z.B. verschiedene Frauengruppen, es gibt aber kein Angebot für ältere ausländische Mitbürger oder für Arbeitslose.

Nun haben die neuorganisierten sozialen Dienste ja auch etwas Verlockendes: Während sich früher ein paar Experten ausschließlich um Ausländer kümmerten, ist heute potentiell jeder Sozialarbeiter auch für Ausländer zuständig.

Linder: An der NOSD ist ja auch

viel Richtiges dran. Ich finde auch: Jeder Sozialarbeiter ist innerhalb der Zielgruppe, für die er laut NOSD -Geschäftsverteilungsplan zuständig ist, also Kinder, ältere Menschen oder Behinderte, auch für die Ausländer innerhalb dieser Gruppe zuständig. Er kann die Ausländer nicht ausgrenzen. Aber Ausländer haben darüberhinaus eben noch die spezielle Eigenschaft, Ausländer zu sein, d.h. sie haben eine andere Kultur, sind besonders diskriminiert, leben unter einem besonderen Ausnahmerecht, dem Ausländerrecht. Deshalb muß es in den Sozialen Diensten auch Mitarbeiter geben, die für diese speziellen Probleme speziell qualifiziert sind.

Ali Elis: Die Probleme von Ausländern und Deutschen sind nicht identisch. Wenn man mit Ausländern arbeiten will, muß man erst mal eine besondere Vertrauensbasis schaffen. Das kann man aber nur, wenn man ihre speziellen Probleme und ihre kulturellen, sozialen und rechtlichen Hintergründe kennt, d.h. wenn man speziell ausgebildet ist. Es reicht nicht, wenn irgendjemand sagt: Die Ausländer sollen mal kommen und dann kümmere ich mich schon.

Das klingt überzeugend, es klingt aber auch nach „alter Hut“. Es gibt 10 Jahre alte Konzepte der SPD, da steht genau das schon drin. Es gibt eine Arbeitsgruppe der Partei zur Ausländerarbeit, es gibt einen SPD-Fraktionsausschuß „Ausländerpolitik“. Die wissen das alles seit 10 Jahren. Hat die Partei geschlafen?

Elis: Ich bin Mitglied dieser Kommission „Ausländerpolitik“. Wir haben festgestellt, daß man Ausländerpolitik nicht mehr machen kann wie Anfang der 80er Jahre. Wir haben einen Forderungskatalog entwickelt, in dem deutlich wird, daß die SPD es sich in einer Situation wachsender Ausländerfeindlichkeit nicht leisten kann, die gleiche Politik wie die CDU zu machen. In Bremen muß z.B. ein Ausländerbeauftragter her mit der entsprechenden personellen und materiellen Ausstattung. Der muß bei der Senatskanzlei angesiedelt sein. Wir haben jetzt zwar einen neuen Ausländerreferenten, aber der ist überhaupt

nicht in der Lage, seine Aufgabe zu erfül

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Ali Elis arbeitet selbst als Sozialarbeiter und in der SPD -Kommission „Ausländerpolitik„

len, weil er Ausländer-, Aussiedler-und Asylproblematik bearbeiten muß. Das kann eine Person nicht. Entsprechend muß in den Stadtteilen mit höherem Ausländeranteil ein Ausländer -Koordinator her, der den Überblick hat, welche Beratungs -und Hilfsangebote existieren und welche dringend geschaffen werden müssen. Für ein solches Programm muß jetzt der gesamte Senat in die Pflicht genommen werden.

Heißt das, daß die Konzepte, nach denen die SPD 10 Jahre lang Ausländerpolitik betrieben hat, falsch waren? Oder hat sie keiner gelesen bzw. ernst genommen?

Mehrkens: Ernst genommen haben wir sie schon. Es ist ja auch nicht so, daß in diesen zehn Jahren überhaupt nichts gelaufen wäre. Aber in letzter Zeit hat die Umsetzung dieser Konzepte stagniert. Das hängt einfach mit der Verschlechterung der finanziellen und personellen Bedingungen zusammen. Wenn in einem Ressort überall gespart werden muß, ist es natürlich am einfachsten, eine Minderheit an die Wand zu drücken.

Linder: Es liegt nicht an den Konzepten. Im Gegenteil: Ausländerpolitik als integrierter Bestandteil sozialer Dienste einer Stadt ist einzigartig. Sowas gibts in anderen Städten gar nicht. Der Punkt ist: Wir wollen uns das jetzt nicht dadurch kaputt machen lassen, daß Leute an der Spitze des Sozialressorts das jetzt nicht mehr tragen und die Person des Senats

direktors es vielleicht gar nicht begriffen hat und deshalb vor die Hunde gehen läßt und dafür den Mitarbeitern auch noch den Schwarzen Peter zuschiebt. Die Kollegen sind nun wirklich nicht für die Fehler an der Behördenspitze verantwortlich.

Was ist die Lösung des Problems? Heißt das Zauberwort einfach „mehr Stellen“?

Linder: Es geht gar nicht um mehr Stellen. Es muß den Mitarbeitern, die da sind, klar werden, daß Ausländerarbeit ein gewollter Schwerpunkt Bremer Sozialarbeit ist. Dann finden sich auch interessierte und engagierte Leute. Nur wenn denen von oben ständig signalisiert wird „Ausländerarbeit ist unwichtig“, dann wenden die sich natürlich anderen Schwerpunkten zu.

Wulff: Dazu gehören natürlich auch die anderen Senatsressorts. Auch das Bildungsressort ist zuständig, das Arbeitsressort hat zur Zeit sogar die Federführung in der Ausländerpolitik. Es kann nicht so weitergehen, daß die ver

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Barbara Wulff ist Vorsitzende der SPD-Kommission „Ausländerpolitik„

schiedenen Ressorts gar nichts von einander wissen und dann zum Teil gegenläufige Konzepte verfolgen. Da muß es eine Stelle geben, die das koordiniert. Das Problem ist nicht die Partei. Die Partei hat klare Vorstellungen. Das Problem ist die Umsetzung durch den Senat. Dafür müssen wir jetzt mit aller Anstrengung sorgen. Ich z.B. will das Thema demnächst im Parteivorstand auf die Tagesordnung setzen. Und da werde ich auch den Senatsdirektor herzitieren.

Fragen: Klaus Schloesser