: Wie im Osten!
Mittwoch Abend, Wettbewerbsfilm Der Bruch im Zoopalast. Ich bin weder Journalist, noch akkreditierter Berlinalebesucher noch habe ich Bekannte in der Berlinale -Administration, die mich bevorzugt mit Karten versorgen. Ich heiße auch nicht Klaus-Rüdiger Landowski und erhalte Karten als Nebengabe zur üppigen Honorierung meiner vielfältigen öffentlichen und halböffentlichen Ämter, die ich bekleide. Dennoch rufe ich kurzentschlossen gegen 20 Uhr im Zoopalast an, und erfahre, daß es für die 23 Uhr -Vorstellung durchaus Karten geben könnte, ich müßte halt um 22.30 Uhr am Kino erscheinen. Dann könne man übersehen, was an Karten zur Verfügung steht, die würden dann verkauft. Ich also um halb elf zum Kino. Dort warten im zugigen Foyer bereits 50 Normalsterbliche, die wie ich ihre Karten an der Kasse kaufen müssen. Wir warten geduldig, Minute um Minute. Es wird keine Karte verkauft. An uns vorbei entschwindet Premierenpublikum, Götz George, jener Landowski, zahllose bekannte und unbekannte geladene Gäste im Kino. Die Uhr rückt auf 23 Uhr vor. Keine einzige Karte wird verkauft. Die Wartenden erfahren nicht, ob überhaupt noch Karten zur Verfügung stehen. Die Schlange bröckelt, um 23 Uhr sind 2/3 der Leute verschwunden. Auch ich will gehen, frustriert. Plötzlich, fünf nach elf beginnt der Kartenverkauf. Es sind ganz normale Karten, keine Computerausdrucke, Beschriftung: „Zoo Palast, 39. Internationale Filmfestspiele, für Zuspätkommende kein Einlaß“. Es gibt genug Karten für alle, die jetzt noch warten. Im Kino sehe ich viele freie Plätze. Zwei Tage später in der Urania, Wiederholung des Wettbewerbsfilm von Rivettes. Wieder warten die Leute in langen Schlangen sinnlos bis nach offiziellem Beginn der Vorführung, dann plötzlich gibt's Karten. Ich glaube nicht, daß das an einem neuen System der computergestützten Kartenausgabe liegt. Es liegt sichtlich daran, daß die Karten nach einem System hemmungs- und schrankenloser Bezugsberechtigungen vergeben und für diese Bevorvorzugten bis buchstäblich zur letzten Minute an den Kinokassen zurückgehalten werden.
Jony Eisenberg
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