: Afghanistan: Prunkstück der Reagan-Doktrin
Um der Sowjetunion eine militärische Niederlage beizubringen, wurden über Jahre alle Zweifel an einer kurzsichtigen Konfrontationspolitik Washingtons beiseite geschoben / Die bisher ausgedehnteste Geheimoperation der CIA wird als Erfolg gefeiert ■ Aus Washington Stefan Schaaf
„Dieser Tag ist eine Wasserscheide auf dem Weg ins 21. Jahrhundert, deswegen wollen wir zusammenkommen und feiern“, sagt Henry Kriegel vom Washingtoner „Committee for a Free Afghanistan“ am Telefon. Gemessen an dieser Sprache, ist die Feier, die einige Stunden später in einem Nebenraum des Kapitols beginnt, eher bescheiden. Mit einer Dose „Diet Coke“ in der einen und einigen Kartoffelchips in der anderen Hand macht Kriegel, ein bärtiger, etwas linkisch wirkender Mittdreißiger, die Runde bei den treuen Unterstützern seiner Sache. Grauhaarige Exdiplomaten schieben sich an jungen Kongreßpraktikantinnen vorbei, konservative Lobbyisten üben sich in Small talk mit einer Handvoll Afghanen in Volkstracht. Nach einer Weile ergreift Kongreßmitarbeiter Charles Schnabel das Wort: „Der einzige Grund für die Genfer Abkommen war, die Sowjets aus Afghanistan hinauszubekommen. Das ist Grund zu feiern“, ruft er in breitem texanischem Tonfall. „Hoch lebe Afghanistan, hoch leben die Mudschaheddin!“
In den USA war der 15. Februar ein Tag, an dem durchaus auch ein amerikanischer Sieg gefeiert wurde. „Das afghanische Volk und die amerikanische Regierung“ hätten einen „beispiellosen, wunderbaren Sieg“ errungen, jubelt ein ehemaliger Mitarbeiter des State Department.
Ein Sieg für zwei Milliarden
Eine Analyse der 'Washington Post‘ nennt den eigentlichen Grund für die plötzliche Hochstimmung: „Für die Vereinigten Staaten war Afghanistan die bei weitem größte und die erste erfolgreiche Geheimoperation von Bedeutung, um die Sowjetunion in der Dritten Welt zurückzudrängen.“ Obwohl das Budget der CIA für klandestine Operationen geheim ist, gilt als sicher, daß das ständig wachsende Engagement in Afghanistan in den letzten Jahren den Löwenanteil dieser Mittel verschlungen hat. Mehr als zwei Milliarden Dollar sind seit 1980 an die Mudschaheddin geflossen, allein 1987 waren es 660 Millionen. Nun glaubt man in Washington, daß das Geld gut angelegt war. Afghanistan wurde zum Paradebeispiel für die sogenannte Reagan-Doktrin, die fordert, die Sowjetunion in der Dritten Welt mit Hilfe von antikommunistischen Guerillabewegungen zurückzudrängen.
Die weitreichende Rolle der USA in dem Konflikt ist in der amerikanischen Öffentlichkeit kein Thema. Hätte die Okkupation Afghanistans nicht viel früher und mit weniger Blutvergießen beendet werden können, wenn die Politik Washingtons nicht vom Motiv der Konfrontation mit der Sowjetunion bestimmt gewesen wäre? Diese Frage wird nicht gestellt, denn sie müßte mit Ja beantwortet werden.
Steven Galster, Afghanistanexperte beim privaten, mit der Sammlung von Regierungsdokumenten zur US-Außenpolitik befaßten Forschungsinstitut „National Security Archive“ in Washington, beklagt, daß man sich zu wenig frage, welche Kosten die US-Politik für das afghanische Volk habe. Die Politik der USA strebte lediglich danach, den Abzug der Sowjets und den Sturz des Regimes in Kabul zu erzwingen. Washington hat damit einen langen und blutigen Machtkampf in Afghanistan provoziert, an dessen Ende eine in sich zerstrittene, zur Verwaltung eines Landes wohl kaum fähige Rebellenführung die Kontrolle in Kabul übernimmt.
Nach einer ursprünglich geheimen Lagebeurteilung des Pentagon-Geheimdienstes DIA vom Mai 1988, die der taz vom „National Security Archive“ zugänglich gemacht wurde, werde Kabul möglicherweise „nur nach mehreren Monaten ständigen Drucks“ erobert, denn den Mudschaheddin „fehlt es an den militärischen Fähigkeiten, um eine gut verteidigte afghanische Hauptstadt zu stürmen“. Die auf den Sturz des Nadschibullah-Regimes folgende Regierung werde, so die DIA -Analyse, „eine uneinige Koalition von traditionellen und fundamentalistischen Gruppen sein, deren Kontrolle nicht weit über Kabul hinausreichen wird“.
Mudschaheddin:
eine Notlösung
Die Afghanistanpolitik der USA hatte nie viel mit Afghanistan selbst zu tun. Unter Reagan war ihr Ziel - in den Worten einer von ihm im April 1985 unterzeichneten „National Security Decision Directive“ -, die sowjetischen Truppen „mit allen verfügbaren Mitteln“ aus Afghanistan zu vertreiben. Der Sowjetunion sollte eine Lektion erteilt werden. Dafür waren die Mudschaheddin ein hervorragendes Werkzeug. Dabei stellten sie für Präsident Carter, in dessen Amtszeit die sowjetische Invasion Afghanistans und die ersten Kontakte der CIA zu den islamischen Rebellen fielen, zunächst nur eine Notlösung dar. Nach der Revolution im Iran, die rasch einen radikal antiamerikanischen Kurs eingeschlagen hatte, und dem Einmarsch der Sowjets in Afghanistan wollte er den Einfluß der USA in der Region mit einer langfristigen Strategie sichern. Neue Militärbasen und eine Schnelle Eingreiftruppe (RDF) sollten den freien Zugang zum Öl des Persischen Golfes garantieren. Doch dies hätte Zeit und Geld erfordert, beides hatte Carter in seinem letzten Amtsjahr nicht zur Verfügung. Die Unterstützung der afghanischen Rebellen blieb als einzige Option. Dennoch war sich Carters State Department über die Grenzen dieser Strategie im klaren: „Die Rebellen sind fragmentiert, ihnen fehlt eine wirksame nationale Führung, und auf keinen Fall können sie einen sowjetischen Abzug erzwingen“, hieß es in einem Bericht.
Unter Reagan wurden die Mudschaheddin zum Kernstück einer antisowjetischen Strategie, die in Zentralamerika auf die Contras, in Angola auf die Unita und in Südostasien auf die kamputscheanischen Widerständler setzte. Innerhalb der Reagan-Administration stritten zwei Fraktionen: die eine wollte die Mudschaheddin nur unterstützen, um die Sowjets zu Verhandlungen über einen Abzug zu zwingen, die zweite wollte den Sowjets eine militärische Blamage um jeden Preis beibringen.
Eine durchbrochene Regel
Mit Unterstützung privater Organisationen setzte eine kleine Gruppe von Kongreßabgeordneten die zweite Strategie gegen den Widerstand im State Department durch. Der Kongreß bewilligte sogar häufig mehr Militärhilfe für die Mudschaheddin, als die Reagan-Administration beantragt hatte. Anders als in Zentralamerika wurde der CIA-Krieg in Afghanistan auch vom liberalen Flügel der Demokraten unterstützt.
Wichtiger noch war, wie eine kleine Gruppe von Aktivisten aus dem Kongreß und der Administration eine fundamentale Regel aller bisherigen US-Geheimoperationen umstürzen half. Nie zuvor waren dabei US-amerikanische Waffen verwendet worden, denn dies hätte die Beteiligung Washingtons an derartigen Aktionen offenlegen können. Doch im Februar 1986, nach dreijährigem internen Streit, wurden den Mudschaheddin die ersten von insgesamt 1.000 tragbaren Stinger-Raketen geliefert, die als die weltbesten Waffen gegen Flugzeuge gelten. Die USA befürchteten zwar, daß Moskau als Revanche ähnliche Waffen an die FMLN in El Salvador liefern könnte, doch dies geschah nicht. Andere warnten, daß die Stinger -Raketen von den Mudschaheddin verkauft werden könnten. Diese Befürchtung erwies sich als begründet: 16 Stinger wurden von einem Mudschaheddin-Kommandeur an den Iran verkauft.
Die Afghanistanfanatiker im Kongreß sprechen den Stinger-Raketen einen Großteil des Verdienstes zu, die Sowjets aus Afghanistan vertrieben zu haben. Doch die Zahlen sprechen eine andere Sprache. Weitaus die meisten sowjetischen Flugzeuge - das State Department schätzt die Zahl auf tausend - wurden von den Mudschaheddin abgeschossen, als ihnen noch keine Stinger, sondern nur chinesische und britische Boden-Luft-Raketen zur Verfügung standen. Seitdem wurden 1987 noch 150 bis 200 und 1988 nur noch 50 Sowjetflugzeuge vom Himmel geholt. Durch die Stinger wurde lediglich die Luftüberlegenheit der sowjetischen Besatzer neutralisiert.
Der Beschluß Moskaus, sich aus Afghanistan zurückzuziehen, ist hingegen schon wesentlich früher herangereift. Im März 1985 zählte der damalige sowjetische Parteichef Andropow dem Afghanistan-Unterhändler der Vereinten Nationen, Diego Cordovez, die Gründe an den Fingern seiner Hand ab. Die Situation in Afghanistan schade nicht nur den Beziehungen zu den westlichen Staaten, habe Andropow ihm gesagt, sondern auch denen zu den sozialistischen und islamischen Ländern und zur Dritten Welt ganz allgemein. Zu guter Letzt sei die Okkupation Afghanistans für die Sowjetunion im Inneren, für ihre Wirtschaft und Gesellschaft schädlich. Doch die USA waren vom Erfolg der UNO-Verhandlungen bis zum Schluß nicht überzeugt. In Steven Galsters Worten „deutet das Verhalten der Reagan-Administration gegenüber den Genfer Verhandlungen sehr darauf hin, daß sie diese seit ihrem Beginn im Jahre 1982 zu sabotieren versuchte“. Immer wenn die Verhandlungen Fortschritte zu machen schienen, sagt Galster, „wurden mehr Waffen an die Rebellen geschickt“.
Der letzte Fußtritt Washingtons gegen eine politische Lösung des Afghanistankonfliktes erfolgte vor einer Woche, als Präsident Bush bekräftigte, daß die Militärhilfe an die Mudschaheddin auch nach dem Abzug der Sowjets fortgesetzt würde - im Einklang mit der bisherigen offiziellen Politik, durch die Genfer Verhandlungen den Rahmen für eine Regierung zu schaffen, die den politischen Zielen des Widerstands entspricht. Wie Rebellenführer Hekmatyar in einem Interview mit Steven Galster bekräftigt hat, seien diese Ziele neben dem bedingungslosen sowjetischen Abzug die Entmachtung aller kommunistischen Elemente und die sofortige Schaffung eines islamischen Staates.
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