: Zur Klarstellung und zum Nachdenken-betr.: "Kritik am Helfersyndrom gegenüber Ausländern", taz vom 13.2.89
Betr.: „Kritik am 'Helfersyndrom‘ gegenüber Ausländern“, taz vom 13.2.89
Es ist schon erstaunlich, wie leicht es sich die taz macht! Am Montag über „ausländerfeindliche“ Deutsche zu sprechen und am Dienstag einen „Druckfehler“ daraus zu machen. Außerdem werden in dem Artikel zwei Fälle vermischt, deren einzige Gemeinsamkeit darin besteht, daß die Personen, um die es geht, Männer türkischer Nationalität sind.
Zur Klarstellung: 1. In der AG Ausländer sei die Kündigung von A.A. als Beispiel „der Feindseligkeiten zwischen einerseits linken ‘ausländerfreundlichen Deutschen und andererseits Ausländern, die für die Gleichberechtigung ihrer Landsleute kämpfen“ empfunden worden. „Wohnen und Leben“ hat keine Kündigung aufgrund von „Feindseligkeiten“ ausgesprochen. Die Kündigung wurde ausgesprochen wegen wichtiger Gründe, die eine produktive Zusammenarbeit verhinderten in einem Team, das aus drei KollegInnen aus der Türkei und zwei Deutschen besteht.
2. A.A. behauptet, bei „Wohnen und Leben“ würden die Immigranten von den Mitarbeitern „wie Unmündige“, je nach Sympathie von oben herab behandelt“. Diese Äußerung unterstellt auf seiten der Mitarbeiter Willkür je nach Sympathie gegenüber den Besuchern und ist falsch. Richtig ist, daß „Wohnen und Leben“ alle Besucher gleich behandelt, sich aber je nach Problemstellung die Wahl der sozialpädagogischen Herangehensweise vorbehält.
3. Weiter behauptet A.A. „Von Immigranten wird Anpassung gefordert“. Dies trifft nicht zu: „Wohnen und Leben“ knüpft als öffentlich gefördertes Projekt an seine Beratungstätigkeit keine Bedingungen oder Forderungen gegenüber seinen Besuchern. Durch einerseits zehn Jahren institutionalisierte Rechts- und Sozialberatung hat „Wohnen und Leben“ dazu beigetragen, ausländischen Bewohnern aus SO 36 und anderen Berliner Stadtteilen zu ihrem Recht zu verhelfen. Die Beratung von Arbeitsimmigranten ist eine fachliche, kulturelle und politische Tätigkeit. „Wohnen und Leben“ ist nicht parteipolitisch, aber eindeutig parteiisch für die Belange seiner Besucher. Seit der Gründung hat sich „Wohnen und Leben“ u.a. für ein kommunales Wahlrecht, für eine Humanisierung des Ausländergesetzes, für das Recht auf kulturelle Identität und für eine doppelte Staatsbürgerschaft eingesetzt.
Zum Nachdenken:
-Können nicht auch gemischtnationale Teams Konflikte haben, die absolut nichts mit der Nationalität der MitarbeiterInnen zu tun haben?
-Könnte es nicht sein, daß patriarchalisch-hierarchische Denkstrukturen einiger ausländischer Mitarbeiter im sozialen Bereich Auswirkungen auf die Teamarbeit haben?
-Könnte es sein, daß türkische Sozialarbeiter in der Arbeit mit ihren Landsleuten ebenfalls von Helfersyndrom und Paternalismus geleitet werden? (...)
Kemal Akdüzgün, Andrea Baumgartner-Karabak, Vera Krenz-von Tiedemann, Zeynep Ümitkan, MitarbeiterInnen von Wohnen und Leben e.V., Berlin 36
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