Neun Monate Haft für Vaclav Havel

Prager Gericht verurteilt Dramaturgen und Wortführer der Charta 77 wegen „Aufruf zur Behinderung der Sicherheitskräfte“  ■  Von Alexander Smoltczyk

Berlin (taz) - Neun Monate verschärfte Haft: Mit diesem Urteilsspruch endete gestern in Prag der erste politische Prozeß seit Unterzeichnung der KSZE-Schlußakte. „Vor dem Gesetz“, stand Vaclav Havel, der Dramaturg und Wortführer der „Charta 77“. Doch anders als in Kafkas Parabel stand vor dem „Bezirksgericht Prag 3“ kein Türsteher, der ihm den Einlaß verwehrte. Havel war wegen „Aufruf zur Behinderung und Behinderung der Sicherheitskräfte in Ausübung ihres Amtes“ angeklagt - ein kafkaesker Passus aus der Anklageschrift, hinter dem sich schlicht eines verbirgt: Gedenken als Straftatbestand. Denn die Behinderung des Staates bestand in dem Versuch, am 16.Januar zum Andenken an die Selbstverbrennung des Studenten Jan Palach Blumen am Denkmal des Heiligen Wenzel niedergelegt zu haben. Für die Bezirksstaatsanwälte im „Bezirksgericht Prag 3“ ein Verbrechen, das mit einer Höchststrafe von sechs Monaten (bei „Behinderung“) bis zu zwei Jahren (bei „Aufruf zur Behinderung“) gebüßt werden muß.

Etwa zwei- bis dreihundert Sympathisanten von Vaclav Havel waren im Bezirksgericht erschienen und applaudierten, als der Schriftsteller hereingeführt wurde. Havel war bereits im Oktober 1979 zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Dann schloß sich die Tür zur Gerechtigkeit, und bis auf Frau und Bruder Havels, einige andere Verwandte und drei Pressevertreter (darunter ein West-Journalist) blieb die Öffentlichkeit ausgeschlossen. Schon auf den Straßen der Umgebung hatte die Polizei systematisch die Papiere der Passanten kontrolliert und mit Strafen gedroht, falls Demonstranten vor dem Eingang des Gerichtsgebäudes stehenbleiben sollten.

Zur gleichen Zeit begann gestern an einem anderen Prager Gericht der Prozeß gegen sieben „Rowdies“, die bei der Palach-Gedenkkundgebung verhaftet worden waren. Darunter sind die noch immer inhaftierte Jana Petrova von der unabhängigen Friedensbewegung und Otokar Veverka von der „Friedensbewegung John Lennon“. Das Verfahren gegen die derzeitige Sprecherin der „Charta 77“, Dona Nemcova, die im Krankenhaus liegt, soll später gesondert verhandelt werden.

Vor den Prozessen haben nach Angaben von Dissidenten 2.100 Tschechoslowaken eine Petition unterzeichnet, die eine Freilassung der im Januar Verhafteten forderte. Knapp 700 Wissenschaftler, darunter Mitglieder der Akademie der Wissenschaften, forderten von Ministerpräsident Ladislav Adamic einen „offenen Dialog“ zwischen Autoritäten und Gesellschaft.

Der frühere Parteichef Alexander Dubcek äußerte in der Zeitung der italienischen Kommunisten, 'Unita‘, seinen Protest gegen die Prozesse.

Auch der ungarische Schriftstellerverband trat zum ersten Mal für die inhaftierten und angeklagten Kollegen im Nachbarland ein.