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Normale Abweichung?

■ Am Psychologischen Institut der FU scheiterten zwei erstplazierte Bewerberinnen für ProfessorInnenstellen am Votum von Wissenschaftssenator Turner

Die jüngsten Eingriffe von Wissenschaftssenator Turner in zwei Berufungsverfahren am Psychologischen Institut (PI) der FU haben diesmal nicht den einmütigen Protest unter den Betroffenen ausgelöst. Wie berichtet, hat Turner Ernst Hoff von der Bundeswehrhochschule München und Anna Auckenthaler von der Universität Innsbruck als NachwuchsprofessorInnen an das PI berufen. Er gab damit dem Zweit- und der Drittplazierten für die Stellen „Arbeitspsychologie“ und „Klinische Psychologie“ den Vorzug gegenüber den Erstplazierten, Frigga Haug und Sigrun Anselm. Offiziell erfolgte die Ablehnung der beiden vom Fachbereich favorisierten Bewerberinnen aus Altersgründen. Bei beiden Stellen handelt es sich um Professuren, für die ein Einstellungsalter von höchstens 40 Jahren gilt. Gegen Sigrun Anselm wurde, wie aus der Wissenschaftsverwaltung zu vernehmen war, außerdem ihre Herkunft als Soziologin sowie die Tatsache, daß es sich um eine „Hausberufung“ gehandelt hätte, ins Feld geführt.

Mindestens das Altersargument jedoch ist wenig stichhaltig, zumal der berufene 44jährige Arbeitspsychologe Hoff nur vier Lenze weniger zählt als die Wunschkandidatin des Fachbereichs für die „Klinische Psychologie“, Anselm. Die künftige AL-Abgeordnete Schramm wirft Turner denn auch „offenkundige politische Motive“ vor. Er habe „kurz vor Toresschluß“ verhindern wollen, daß „Psychoanalyse als kritische Wissenschaft“, wie sie Sigrun Anselm vertrete, an der Uni gelehrt wird. Frigga Haug habe Turner schon wegen ihres Rufes als bekannte Marxistin und Feministin nicht berufen.

Kein Politikum sieht indes der Geschäftsführende Direktor des PI, Martin Hildebrandt-Nilshon, in der Abweichung des Senators von der Reihenfolge der auf den beiden Berufungslisten plazierten BewerberInnen: „Turner hat sich verhalten, wie ein normaler Wissenschaftssenator schon unter der SPD.“ Er habe immerhin die Wünsche des Instituts erfüllt, indem er die Listen bedient, und nicht BewerberInnen von außerhalb auf die Stellen gesetzt hat. Im übrigen, so Hildebrandt-Nielshon, überwiege am PI die Freude darüber, daß beide Stellen nach zwei Jahren endlich besetzt worden sind.

Insider am PI werten die Verzögerungen bei der Besetzung der Stellen als Indiz dafür, daß man zunächst die im Rahmen der FU-Strukturreform geplante Einverleibung des linken Psychologischen Instituts (PI) in das konservative FU -Institut für Psychologie (IFP) hatte abwarten wollen, um die Personalpolitik gewandelten Mehrheitsverhältnissen zu überlassen. Der Plan, PI und IFP zusammenzulegen, wurde im Zuge der Studentenproteste jedoch um ein Jahr aufgeschoben.

Gänzlich anders bewerten dagegen die Studenten die Berufungsentscheidung Turners. „Wir brauchen dringend jemanden, der Psychoanalyse lehrt und prüft“, faßt ein Student das Problem zusammen. Er gehört einer Initiative von Studenten an, die seit zwei Jahren für die Berufung, der auf diesem Fachgebiet als besonders versiert geltenden Sigrun Anselm kämpft. Die Entscheidung für Anna Auckenthaler, deren Kompetenzen demgegenüber auf den Gebieten Gesprächs- und Verhaltenstherapie liegen, habe die „absolut desolate Ausbildungssituation“ im Bereich der Psychoanalyse jetzt noch verschlimmert, der derzeit nur von einer studentischen Tutorin sowie alle vierzehn Tage für zwei Stunden von einem Honoarprofessor abgedeckt wird. Weil alle fest mit der Berufung von Frau Anselm gerechnet hätten, sei überdies erst kürzlich die letzte Mittelbau-Stelle für diesen Bereich gestrichen worden. Die StudentInnen fragen nun: „Ist das Berlins Beitrag zum 50.Todestag von Sigmund Freud?“

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