piwik no script img

DIE ABWESENHEIT DES PIANISTEN

■ Anna Löbner im Künstlerhaus Bethanien

„Schau, Maurice, du kritzelst gerne kleine Männchen und möchtest fünfzigtausend davon auf ein Blatt Papier bringen. Dazu zeige ich dir ein sicheres Mittel. Zeichne eine Mauer und schreibe darauf: In diesem Augenblick gehen fünfhunderttausend Menschen hinter dieser Mauer vorbei!“ Georg Sand überlieferte in ihren Erinnerungen 1841 diesen Rat von Eugene Delacroix an einen jungen Maler, der so verblüffend auf die Konzept-Kunst vorauszuweisen scheint.

Am Ende ihres Kunststudiums in Düsseldorf malte Anna Löbner auf einem mehrere Meter langen Bild eine große Gruppe von Menschen. Doch seit ihren Aufenthalten in New York 1987 rücken Mauern in ihren Bildern an die Stelle der Menschen. Sie schieben sich vor dem Betrachter hoch in den Himmel, sie riegeln die Tiefe des Raumes ab, sie halten den Blick auf, unverrückbar sind ihre Massen. Dennoch ist in diesen menschenleeren Bildern etwas gegenwärtig, das für die Malerin auch in ihren Menschenbildern zählte: sich definieren, ins Verhältnis setzen, Spannungen und Beziehungen zwischen Subjekt und Umwelt beschreiben. Nur kommt jetzt die Rolle des Subjekts dem Bildbetrachter selbst zu.

In der Ausstellung im Bethanien, für die Anna Löbner in einem Atelier des Künstlerhauses ein Jahr lang gearbeitet hat, läßt eine diagonal in den Raum gestellte Wand jenes Raumgefühl nacherleben, das ihren Bildern die Spannung gibt. Ihre gemalten Häuser sind eigentlich geschlossene, fensterlose Wände, eher schon Architektur zitierende Monumente als reale Häuser. In dem großen Bild „Gemeinsames Streben“ nehmen die Parallelität und Korrespondenz der in gerundetem Schwung aufstrebenden Wände den Massen ihre Schwere, Aggression und Harmonie halten sich im Verhältnis der Körper die Waage; die Wände scheinen keine toten Dinge, sondern sich mit eigener Energie und Dynamik aufzubauen.

Vier Bilder zeigen einen Konzertflügel, auf dem Familienfotos stehen. Der Pianist, den sie erst noch an den Flügel gesetzt hatte, wurde übermalt, und mit ihm verschwand ein Betrachter der Familienfotos. Deshalb drehte die Malerin in den folgenden drei Versionen jeweils eines der Rähmchen um, zum Bildbetrachter hin. In dieser Serie bereitete sich die Ausblendung der Menschen vor; allein die Dinge verweisen noch auf ihn. Das narrative Element der Bilder setzt sich in ihrem assoziativen Charakter fort, wenn auch die Protagonisten abwesend sind. „Bedürfnis nach Maß und Ordnung“ nannte Anna Löbner die vier Bilder und beschrieb damit ihre Erleichterung beim Malen der Serie. Nachdem das Konzept einmal gefaßt war, führte sie es als ihre eigene Angestellte aus und mußte nicht täglich ihre Aufgaben und deren Sinn neu bestimmen.

Katrin Bettina Müller

Anna Löbners Bilder sind im Bethanien bis einschließlich 26. Februar ausgestellt, von 14 bis 19 Uhr.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen