piwik no script img

Das Genie und sein Schatten

■ Sophie Taeuber - Hans Arp - „Besonderheiten eines Zweiklangs“ / Bilder, Collagen, Reliefs und Plastiken in Wuppertal

Christof Boy

Ein Relief. Zwei Kreissegmente berühren sich. Der obenliegende Ring ist fast geschlossen; dort, wo er endet, befindet sich eine halbrunde Aussparung. Das Motiv des Unvollständigen wird in dem unten angebrachten Ring aufgenommen, auch hier schneidet ein Halbkreis eine Lücke in den Radius. Der untere Ring ruht über der Kante des Reliefs wie eine Schaukel in einem vagen Zustand des fragilen Gleichgewichts kurz vor der nächsten Kippbewegung, eingefroren in Metall - Bronze für die Ringe und Messing als Hintergrund. Letzte Konstruktion I hat Hans Arp das Werk genannt - ein sperriges Zeichen, das sich zunächst jedem Zugriff entzieht.

Wer Auskunft erhalten will, warum sich das Relief so verschlossen zeigt, muß den Blick nur nach links wenden. Dort hängt eine Tuschzeichnung desselben Motives, die schon beim flüchtigen Hinsehen allein in dem Kontrast zwischen dem Schwarz der Ringe und dem Weiß des Papiers zuviel Spannung ausstrahlt, als daß sie nur eine Vorstudie zu dem plastischen Endzustand sein könnte. Sie ist das Original, und das polierte Metall bleibt nur eine Kopie, auch wenn sie als Nachschöpfung von Hans Arp gestaltet wurde. 1942, knapp 20 Jahre bevor Hans Arp seine Variation anfertigte, schuf Sophie Taeuber die Graphik in einem Zyklus mit dem Titel Geometrische Konstruktionen.

Das Genie und sein Schatten. Sophie Taeuber war die Frau von Hans Arp, Künstlerin wie er, aber auch Tänzerin, Lehrerin an der Kunstgewerbeschule in Zürich und Innenarchitektin des eigenen Hauses. Auf dem Katalog zu der Ausstellung Ein Zweiklang - Sophie Taeuber - Hans Arp ist das Ehepaar abgebildet, doch sie ist gleich doppelt verdeckt; ihr Gesicht ist hinter einem Schleier verborgen, nur ein Auge schaut an einem Dada-Kopf, den sie als Karikatur nach einem Porträt von Hans Arp geformt hat, vorbei. Das Symbol des Zurückstehens wird im Katalog aufgegriffen. Es habe einen stillschweigenden Konsens der beiden gegeben, daß Arp zu Lebzeiten im Vordergrund stand, so Sandor Kuthy vom Kunstmuseum Bonn. Natürlich läßt sich das nicht belegen, denn Notizen, Gedichte und Erinnerungen gibt es nur von Hans Arp; das Leben des Künstlerpaares, die Dialoge und Konflikte teilen sich nur mit über die gefilterte Version des Mannes, der Weltruhm erlangte, während sie vergessen wurde.

Die Ausstellung in Wuppertal sagt etwas anderes aus: den eminenten Einfluß Sophie Taeubers auf das Werk von Hans Arp. Hier haben sich zwei Menschen in ihrer Gemeinsamkeit gegenseitig befruchtet und im künstlerischen Wettbewerb be flügelt, aber seine Ideen nahmen auch deshalb Gestalt an, weil sie ihn unterstützte. „Es war Sophie Taeuber, die mir durch das Beispiel ihrer klaren Arbeiten und ihres klaren Lebens den rechten Weg, den Weg zur Schönheit zeigte“, gab Hans Arp einmal zu; sie war ihm nicht nur Beraterin, die Arps Ideen verstand und ihm half, sie ins Machbare zu übersetzen. Mit ihrer Lehrtätigkeit sorgte sie für den Lebensunterhalt, in der hungerreichen Zeit nach dem Ersten Weltkrieg eine entscheidende Grundlage, um sich künstlerisch frei entfalten zu können. Claire Goll schrieb über das Paar: „Zu jeder beliebigen Zeit traf man die beiden beim Kleben, Sticken, Ausschneiden, Weben oder Basteln von Marionetten an, die sie dann an Haken von der Decke baumeln ließen. Immer herrschte eine Stimmung wie am ersten Schöpfungstag. Arp und Sophie erfanden die Welt neu, mitsamt neuen Gesetzen. Dieses Paar hatte etwas Ätherisches, sie ähnelten zwei geflügelten Ameisen oder Schmetterlingen über einer blühenden Wiese: sie graziös, lächelnd, besonnen; er vergnügt und spaßhaft, mit Händen, die unaufhörlich mit Kneten, Streicheln und Zusammenfügen beschäftigt waren.“

Künstlerpaare - Künstlerfreunde heißt die Reihe von Ausstellungen, die das Kunstmuseum in Bern 1985 mit dem Aufzeigen der künslerischen Affinität zwischen Camille Claudel und Auguste Rodin initiiert hatte und die nun in Wuppertal, nach einer vorangegangenen Präsentation in Bern, fortgesetzt wird. Stand in der Beziehung zwischen Camille Claudel und Auguste Rodin - wie auch in dem jetzt auf der Berlinale gezeigten Film von Isabelle Adjani - das tragische Element gegenseitiger Bereicherung und Abhängigkeit im Mittelpunkt des Ausstellungskatalogs, soll nun die Harmonie zwischen Sophie Taeuber und Hans Arp hervorgehoben werden. Nicht der vereinzelte gegenseitige Austausch, nicht die einmalige gemeinsame Schöpfung, sondern die Kontinuität des Einsseins will die Ausstellung nachzeichnen.

In den Duo-Dessins ist das Werk des einzelnen zwar als Element zu erkennen, doch stehen die Konstruktionen von Sophie Taeuber und Hans Arp nie konkurrierend zueinander, sie gehen auf in einer Symbiose, die Harmonie und Einverständnis ausdrückt. Partnerschaftlichkeit in der bildnerischen Arbeit also, aber warum mußte Sophie Taeuber dann nach außen gegenüber den Künstlerfreunden des Dada -Zürch hinter ihrem Mann zurückstehen? Die Ausstellung gibt darauf keine Antwort, ja, sie arbeitet nur den Aspekt des schöpferischen Dialoges heraus und vernachlässigt eine vielleicht bestehende Rivalität im Wesen der Künstler. Denn daß die Beziehung nicht immer ausgeglichen gewesen sein kann, die gegenseitige Hingabe sich nicht kontinuierlich fortsetzte, belegt die Reaktion Arps auf den frühen Unfalltod von Sophie Taeuber, seine - neben einer von Arbeitswut gekennzeichneten Kreativität - Flucht in die Wiederholung des Werkes seiner Frau. War es nur eine Art, Trauer aufzuarbeiten, oder das Bewußtsein einer Schuld, das Hans Arp dazu trieb, in Nachschöpfungen, die ihn jeder Eigenständigkeit beraubt, die Erinnerung an Sophie Taeuber zu beschwören? In einem 1959 verfaßten Text gesteht Arp: „Ich bewege mich in einem Bildbau Sophies... Ich spüre Sophies Hand in jedem kleinsten Winkel ihres Bildbaues, wie man die Hand des Meisters und des Zauberers in den Wunderbauten spürt.“ In welchem Maße Sophie Teauber am Werk ihres Mannes teilhatte und daneben noch Eigenes schuf, läßt sich aus Arps nachträglicher Verehrung seines „Sterns“, wie er sie nannte, nurmehr erahnen. Die Ausstellung in Wuppertal mit dem Hang zur Betonung des harmonisierenden Zusammenarbeitens zeigt nur in Ansätzen, wie nachhaltig und tiefgreifend ihr Einfluß auf sein Handeln gewesen sein mag. Ein Mangel, den der ausführliche Katalog ausgleichen kann.

Erst nach ihrem Tod scheint Arp die Rolle, die Sophie Teauber in seinem Leben und Werk gespielt hat, richtig zu begreifen, nicht nur mit Bildern und Reliefs, auch in den Gedichten und Essays, die nun häufig ihren Namen bereits im Titel tragen, reflektiert er in rückwärts gerichteten Projektionen sein Verhältnis zu Sophie. Erst im Verlust weiß er um ihre Größe. Ein Zweiklang also, der einsilbiger verlief, als die Ausstellung nahezulegen versucht.

Besonderheiten eines Zweiklangs. Die Ausstellung ist noch bis zum 31.März in den Ausstellungssälen des Von-der-Heydt -Museums im Haus der Jugend, Wuppertal-Barmen zu sehen (Katalog: 45 Mark). Parallel dazu läuft im Bahnhof Rolandseck in Rolandseck bei Remagen die Ausstellung Sophie Taeuber und ihre Freunde bis zum 20.April.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen