piwik no script img

Rieselregen

■ Hector Zazou in der Reihe „Geographie Musicale“

Beim zweiten Konzertabend zum Thema Neue Musik aus Frankreich ist man vom heimeligen Ballhaus Naunynstraße in den intellektuellen Kulturbunker Akademie der Künste umgezogen. Konzerte in dieser aufgeblähten Schulaula ziehen immer ein ähnliches Publikum an, egal, was angekündigt ist: Die sportiv bis exklusiv gekleidete Gemeinde erwartet die Darstellung von Kunst. Möglichst mit avantgardistischem Anstrich. Die Atmosphäre ist abwartend reserviert, man geht nicht zu einem bestimmten Musiker oder einer Gruppe, sondern man geht ins Konzert. Wer oder was auf der Bühne steht, ist im Grunde vollkommen egal, Hauptsache, man kann sich beim Wein danach angeregt darüber unterhalten.

Als Vorgruppe von Hector Zazou hatte man einen vierköpfigen Chor eingeladen, zwei Sopranistinnen, eine Alt-Frau und einen Tenor. Man gibt 15 afrikanische Sprichworte, mehrstimmig zerkleinert, französisch gedehnt, manchmal fast an Lautgedichte von Kurt Schwitters erinnernd. Sehr ernsthaft vorgetragen, so daß das Anschlagen der Stimmgabel und die Tonvorgabe durch den Herrn vor jedem Sprichwort zunehmend komischer wirkte. Aber in der Akademie lacht man vornehm, mit vorgehaltener Hand, wie beim Zahnstochern im Restaurant. Vielleicht sind die Sprichworte auch zu schwer verdaulich: „Wenn es keine Elefanten im Busch gäbe, wäre der Büffel König.“ Warum, werden wir wohl nie erfahren.

Hector Zazou hat dagegen ganz andere Probleme. Er hat sich hinter einer Wagenburg aus Synthezisern und anderen elektronischen Bauteilen verschanzt. Den ganzen Abend hat man gebastelt, um all die Kabel sinnvoll zusammenzustöpseln, es gab wie immer „technische Probleme“, und dabei scheint ihm auch ein Teil seines Personals entlaufen zu sein. Seinem „Ensemble Geometrie“ fehlen die angekündigten Tabla-, Sitar -, Gitarre- und „Electronics„-Spieler. So bleibt dem baseball-bemützten Zazou als letzter Kontakt zur Außenwelt hinter seinen Computern nur der Tonmischer, ein Flötist und der Sänger Bony Bikaye, der seine Doppelhalsgitarre im Arm hält, aus der aber auch nur synthetische Töne hervorquellen wollen. Wenn ein Blinder dieses Konzert hören würde, er würde wahrscheinlich denken, es handele sich ausschließlich um künstliche Musik vom Band oder aus dem unerschöpflichen Speicher eines Computers.

Bei jedem neuen Titel programmiert Zazou seinen großen Bruder, schiebt hier und dort eine Diskette nach und drückt ein paar Knöpfchen. Darauf erklingt ein statisch präziser Rhythmus. Computer können sich nicht irren, und deshalb klingen die von ihnen produzierten Rhythmen auch so steril, kein menschlicher Schlagzeuger könnte so genau den Takt einhalten. Einzig der Gesang mit afrikanischem Einschlag vom einzigen Schwarzen der Gruppe vermag dem Elektrogebräu ein wenig Leben einzuhauchen. Aber auch nur für einige Atemzüge.

„Unauffällig wie Brian Enos Ambient-Music“ steht im Programmheft: Was als Lob gedacht ist, erweist sich als Bumerang. Diese Minimal-Music eignet sich hervorragend als Berieselung für Flughäfen und Supermärkte. Aber nur dafür. Man bedient sich einiger Melodiefragmente, die man als Verzierung über den Rhymthmusbrei legt. Ansonsten ergötzt sich der gebannt lauschende Zuhörer an lauten Knallgeräuschen, die als Resultat der technischen Probleme in die meditative Stimmung platzen. Geschickter eingesetzt, könnten diese des High-Tech-Ausrutscher der Musik vielleicht sogar zu mehr Spannung verhelfen. Aber so stören sie nur die Totenfeier der Gemeinde der Minimalmusik-Anhänger. Hier wird jeglicher musikalische Genuß, der sich in Form von Begeisterung im Publikum und in der Musik ausdrücken könnte, konsequent zu Grabe getragen. Bleibt nur die vage Hoffnung auf die beiden letzten Konzertabende der Reihe „Geographie Musicale“. Besonders auf das Konzert von Pascal Comlade und seinem „Bel Canto Orchestra“ im Ballhaus. Die Musiker des Orchesters spielen auf Plastiksaxophonen, Spielzeugklavieren und -gitarren „Sweet little sixteen“. That's what I want.

Andreas Becker

Nächstes Konzert: Donnerstag, 20.30 Uhr, AdK, Karl Biscuit „Rhapsodie Orthopedik“

__

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen