: Solas ante el peligro
■ Spaniens Piratensender
Der rote Knopf? Jawoll, wieder einmal der rote Knopf, verschwunden, untergetaucht, einfach futschijama, das ist der Weltuntergang, genau heute, an einem beliebigen Donnerstag, kurz vor drei, genau hier, Calle de Tenerife, Cuatro Caminos, Madrid. Solas ante el peligro - allein und verlassen hocken sie da im Angesicht der tödlichen Gefahr, Lola, Ester und Nuria, der herannahenden Apokylpse tapfer trotzend. Nein!, die Sendung darf nicht ausfallen, zackzackzack, los: Idee her! „Wofür war überhaupt der rote Knopf?“ - „Jajaja, gute Frage, an sich...“ - „Ah, hier ist er ja schon, genau zwischen den Cramps und den Seeds!“ Super, Weltuntergang nochmal aufgehalten, Knopf (rot) montiert - „Hallo Freunde, ihr hört gerade die Antena Colectiva, auf 95,5, und wir, ja wir sind Solas ante el peligro, und nach dem nächsten Song stellen wir euch unseren heutigen Studiogast vor, extra aus Deutschland eingedüst...“ - Was für ein Studiogast? - „Ja, klar, Mann, DUUU! bist unser Studiogast!“ - „Aber...“ - „Halt jetzt endlich mal dein Maul, wir machen jetzt gleich ein Bandinterview, und du bist die Band!“
Antena Colectiva: Das sind 300 Watt (Antenne), ein Qudratmeter Sperrholz (Studioeinrichtung), vier Schieberegler plus roter Knopf (Mischpult), etwa sechs Dutzend Kubikmeter Rauch (Studio), ein Kubikmeter Luft, Lola, die Fuzztones (ach ja, der Plattenspieler geht ja gar nicht) und letztendlich Ramon Menendez: „Also, mir gefiel das normale Radioprogramm nicht, also habe ich mein eigenes Radio aufgemacht.“ Schlüssige Begründung.
Antena Colectiva: Einer der 14 radios libres, die zur Zeit neben 21 legalen (privaten und staatlichen) Sendern Madrid beschallen. Offiziell verboten, und ebenso offiziell toleriert. In ganz Spanien senden etwa 120 „freie Sender“, das heißt frei von Werbung und frei von Geld. Die Freiheit, also-mir-gefiel-das-normale-Radioprogramm-nicht-also-habe
-ich-mein-eigenes-Radio-aufgemacht zu sagen, nimmt sich allerdings nicht jeder. Der Forderungskatalog der Onda Verde (Grüne Welle) klingt da schon etwas bescheidener: „Die Verteidigung der Menschenrechte und der sozialen, ökonomischen, politischen und kulturellen Bedingungen, die ein würdiges Leben ermöglichen... Verteidigung des Friedens..., Abrüstung..., direkte Demokratie..., Kollektivierung der Produktionsmittel...“ Finanzierung: Jeder zahlt seine Sendezeit selber (bei der Antena Colectiva pro Stunde etwa 15 Mark, bei der Onda Verde vier Mark). Ideologie: „Die freien Radios basieren auf der Autonomie der Programmacher - im Gegensatz zu denjenigen Radios, deren Wille es ist, andere zu repräsentieren.“
Dieser optimistischen Anti-Konsens-Konzeption zum Trotz bestimmt allerdings nicht selten der Eigentümer der Produktionsmittel über die hauseigene Ideologie: Beim Radio Cero die Anti-Nato-Aktivisten, bei der Onda Latina die Kommunisten und bei der Antena Colectiva Ramon Menendez („Jaja, ich würde auch Faschos senden lassen, nicht um Propaganda für die zu machen, sondern um mal zu hören, was die so denken“).
Strikt zu unterscheiden von diesen radios libres sind die illegalen Privatsender, die sich über Werbung finanzieren und den zugelassenen Privatsendern so den Werbemarkt streitig machen. Diese selbsternannten radios independientes müssen zwar Steuern zahlen (sind also als Unternehmen anerkannt), dürfen aber nicht der eigentlichen Zielsetzung dieses Unternehmens nachgehen - nämlich ein Programm ausstrahlen. Und genauso wie in Spanien Ampeln höchstens Vorschlagscharakter besitzen, genauso macht sich auch der Gesetzgeber selbst die Relativität des „Verbotenen“ zunutze: 375 spanische Rathäuser haben zur Zeit ihre eigenen radios municipales installiert - selbstverständlich ohne über eine Lizenz zu verfügen.
Ein neuer plan tecnico soll diese konfuse Situation nun bereinigen. Zur Disposition stehen insgesamt 1.396 neue Sendegenehmigungen, von denen Javier Nadal, der zuständige Kommunikationsminister, gleich tausend für die radios municipales reservieren ließ. Die zur Zeit existierenden radios libres sollen sich den radios municipales eingliedern.
Der plan tecnico, der vorletzte Woche verabschiedet wurde, sieht 316 neue Lizenzen für private Sender vor sowie 232 für das staatliche RNE.
Thomas Langhoff
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