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Militärflug vor finanziellem Ruin?

Nach BGH-Grundsatzurteil muß Bonn Flugplatzanwohner für Lärmbelästigung entschädigen  ■  Von Petra Bornhöft

Berlin (taz) - Jahrzehntelange Ignoranz des Bundesverteidigungsministeriums gegenüber fluglärmgeschädigten Menschen kommt die Hardthöhe jetzt teuer zu stehen. Nach einem erst jetzt bekannt gewordenen Grundsatzbeschluß des Bundesgerichtshofes (BGH) muß Bonn AnwohnerInnen von mindestens 30 Flugplätzen der Bundeswehr und der Nato für den Lärmterror finanziell entschädigen. Aufgrund einer willkürlichen Interpretation des Urteils und bürokratischer Hürden für die Betroffenen rechnet die Hardthöhe nur mit 200 Millionen Mark Kosten. Diese Zahlen nannte ein Sprecher am Wochenende gegenüber der taz.

Das Ministerium hofft, daß die BewohnerInnen in den sieben Tiefflugregionen der Republik aus dem BGH-Beschluß keinen Nutzen ziehen können. Sollten sie indes anspruchsberechtigt sein - wie Juristen meinen -, dann kämen Milliarden -Forderungen auf den Bund zu. Die entsprechende Klage ist vorbereitet.

Angefangen hat alles 1973, als 27 Hauseigentümer des Dorfes Niederbolheim am Flugplatz Nörvenich eine vom Bund bezahlte Umsiedlung verlangten. Unterstützt von der Stadt Kerpen, schrieben sie zwei Jahre vergeblich an die Hardthöhe. „Keinen Millimeter“, so erinnert sich der Leiter des Ordnungsamtes und „Projektbeauftragter“ Winfried Thiem, „kam uns das Verteidigungsministerium entgegen. Es lehnte Umsiedlung und dann auch eine Entschädigung für den Krach ab. Wir haben den Bund immer wieder vor einem Musterprozeß gewarnt.“

Den gewann der Bauer Paul Ense, finanziell abgesichert durch die Stadt Kerpen, nach zwölf Prozeßjahren. Am 30.1.1986 entschied der BGH „dem Grunde nach“, daß Paul Ense entschädigt werden muß. Auf seinem Grundstück waren ein Dauerschallpegel von 76,5 Dezibel und plötzliche „fast knallartige Spitzenschallpegel“ von über 100 bis zu 112 Dezibel gemessen worden. Danach vergingen fast drei Jahre, bis die streitenden Parteien am 3.11.88 vor Fortsetzung auf Seite 2

dem Oberlandesgericht Köln einen Vergleich über die Höhe der Entschädigung schlossen: Bauer Ense, der ursprünglich 80.000 Mark gefordert hatte, erhält 180.000 Mark.

In der Behörde von Minister Rupert Scholz begann man schon vor drei Jahren heftig nachzudenken über den unanfechtbaren BGH-Beschluß. „Die Entscheidung wird erhebliche finanzielle Folgewirkungen für den Bund haben“, heißt es in einem geheimen Papier vom 12.3.86, das in der vergangenen Woche von dem Fernsehmagazin Monitor ver

öffentlicht wurde. Den Beamten, die sich bislang auf dem Fluglärmgesetz ausruhen konnten, das keinerlei finanzielle Entschädigung für Flugplatzanrainer vorsieht, schwante Furchtbares: „Es ist davon auszugehen, daß die Lärmschutzzonen I aller militärischen Einsatzflugplätze Lärmbelästigungen ausgesetzt sind, die mit denen beim Nato -Flugplatz Nörvenich durchaus vergleichbar sind. Entsprechende Entschädigungsforderungen sind daher (...) zu erwarten.

Um die Kostenlawine möglichst gering zu halten, hat das Verteidigungsministerium sich jetzt einen Trick ausgedacht. Weil der BGH keinen unteren Grenzwert der „Zumutbarkeitsschwelle“ beim Lärmpegel festgesetzt hat, definierte das Ministerium selbst: Entschädigung können nur Eigentümer beantragen,

auf deren Grundstücken ein Dauerschallpegel von mindestens 77 Dezibel sowie „täglich mindestens 20 Lärmereignisse mit mehr als 100 Dezibel gemessen werden“, erklärt Jörg Schattenberg, Sprecher der Wehrverwaltung, ohne die Kriterien für diese Festsetzung benennen zu können. Wo diese Grundstücke liegen, ermittelt derzeit der Rüstungskonzern MBB im Auftrag des Verteidigungsministeriums.

Zutiefst ergrimmt über „die willkürliche Festsetzung der Entschädigungsbedingungen“ durch den Bund garantiert der Kerpener Ordnungsamtsleiter Thiem: „Wenn nur einer unserer Mitbürger aus Niederbolheim nicht entschädigt wird, verteidigen wir ihn bis zur letzten Instanz.“ Mindestens genauso entschlossen kündigte Rechtsanwalt Dr. Alfred Meyerhuber aus dem

bayerischen Gunzenhausen eine Klage im Sinne der tiefflugterrorisierten BundesbürgerInnen an. Nach seiner Ansicht steht das Verteidigungsministerium auf verlorenem Posten, wenn es behauptet, der BGH-Beschluß sei nicht auf die Tiefflugregionen anwendbar. Die Hardthöhe sagt nämlich, in den sieben Areas hätten die Anwohner keinen „Flugplatz zum Nachbarn, der die Anwendung des Nachbarrechts wie im Fall Ense ermöglicht“. Dagegen hält Meyerhuber, es sei „wurscht, ob der Krach im Tiefflug oder im Landeanflug auf die Menschen runterdonnert. Die Klage marschiert, sobald wir jemanden gefunden haben, der den Kostenschutz übernimmt.“ Wer unterstützt den Rechtsstreit, der möglicherweise den Tiefflug in den finanziellen Absturz treibt?

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